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[   Band 6 Brief 23:    Humboldt an Caroline    London, 26. November 1817   ]


hierher angenehm sein würden, und will also immer sichtbar an-
knüpfen. Ich denke nach meiner alten Regel die Unhöflichkeit an
den Anfang zu setzen und nicht zu antworten. *)
In Deinen Briefen, die ich wieder durchlese, habe ich nun
auch den Dioskurentempel gefunden. Es ist mit den Ausgrabungen
recht gut, aber die Phantasie Verderben sie einem doch. Sie machen
das Alte neu. So war man nun einmal gewohnt, die drei Säulen
Jupiter tonans zu nennen, und die eine stator. Nun soll man
Dioskuren sagen, und gar an den elenden Phocas denken. Alle
Altertümer in Rom haben etwas Mythisches, man wußte recht
gut, daß es nicht damit so war, wie es gesagt wurde, aber sie
waren in den Namen, mit den Anekdoten und Fabeln zu eigenen
Wesen geworden, aus denen das Bild des heutigen Rom hervor-
ging. Ich werde auch bis an meinen Tod dabei bleiben und mich
nicht an die gelehrten Erklärungen kehren. Man kann das seinen
Kindern überlassen. Es ist mir aber sehr lieb, was Du davon siehst
und erfährst zu hören.
Schrieb ich Dir schon von Lady Davy **), der Frau des be-
rühmten Chemikers? Sie hat Dich bei der Staël gesehen und läßt
Dich immer grüßen. Sie erinnert sich, mit Theodor getanzt zu
haben. Du weißt, die Engländerinnen sehen das Tanzen für eine
Bewegung an, die in jedem Alter an ihrer Stelle ist.
Über Hermanns Brief an Dich habe ich sehr lachen müssen.
Man sieht daraus, wie schwierig eigentlich die Schreibkunst und das
Denken im Schreiben ist. Kinder kommen zu gar keiner Natür-
lichkeit, ehe sie nicht die Fertigkeit der Hand haben, und bei Na-
tionen ist die erste Prosa, die sich nicht ohne Schreiben denken läßt,

———
*) Die Annäherungsversuche des Varnhagenschen Paares entsprangen
wohl hauptsächlich egoistischen Gründen, was Humboldts Feingefühl nicht
entgangen sein wird.
**) Vgl. Bd. IV, S. 378.

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