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[ Band 6 Brief 15: Humboldt an Caroline London, 8. November 1817 ]
Von Stein enthält ein Brief von Otterstedt *) an Bülow keine günstigen Nachrichten. Es soll mit seinen Augen schlimm gehen. Es wäre ein ungeheures Unglück für den armen Mann, wenn er das Gesicht verlöre. Bei seiner Ungeduld fast schlimmer, als wenn es einen anderen träfe. Du schreibst unendlich schön über die Appische Straße, mein teures Herz, ich möchte mit Dir dort gewesen sein. Es ist einer der Spaziergänge, die am tiefsten ergreifen. Wohl hatten die Alten einen großen und schönen Sinn in der Behandlung ihrer Toten, der bei uns verschwunden ist; schon der Gedanke, eine Stadt der Toten an die Stadt der Lebenden zu knüpfen, war groß und freundlich zugleich. Man kann es aber auch nicht dem Christentum schuld geben, dies verändert zu haben. Anfangs machte der Druck und die Verfolgung, daß die Christen ihre Gräber verstecken mußten. Die Katakomben sind gerade dasselbe unter der Erde, was jene Totenstraßen über der Erde waren. Dann entstand die Idee des Begrabens in den Kirchen, was, wenn nicht das Un- angenehme der Verwesung hinzukäme, dem die Alten durch das Ver- brennen (das aber auch seine sehr widrigen Seiten hatte) entgingen, und bei wahrer Andacht auch eine große Idee war. Endlich sind unsere Kirchhöfe, ich meine die auf dem Lande, doch sehr hübsch und haben von der frühesten Kindheit an auf mich immer viel Eindruck gemacht. Die schönsten von Städten hat Königsberg. Die meisten sind da dicht mit großen und alten Linden besetzt. Alexander hat mir seinen zweiten Teil der Reisebeschreibung **) mit dem Atlas mitgebracht. In der Beschreibung habe ich einiges hier und da gelesen. Es ist natürlich voll interessanter Stellen und wichtiger Untersuchungen, aber den Einfluß der Sprache sieht man ——— *) Joachim Friedrich v. Otterstedt, geb. 1769, † 1859, Gesandter in Darmstadt. **) Bekanntlich in französischer Sprache geschrieben. 43