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[ Band 5 Brief 190: Caroline an Humboldt Rom, 27. September 1817 ]
und wahr ist alles, was Du, sagst, und niemand soll sich überheben. Es hängen die Dinge auf eine geheimnisvolle Weise zusammen, und selbst das Gräßliche und Grausame hat darum eine unendlich tiefrührende Seite. Die Beschreibung des deutschen Charakters von Tacitus, wie er die Erscheinung aufgefaßt, die sich ihm auf- gedrungen, hat mich unendlich interessiert. Seine Art zu schreiben hat oft etwas Erschütterndes. Ich möchte wohl ihn in seiner Sprache lesen können. Rocca, höre ich, soll hier sein. Ich lernte ihn in Coppet kennen. Er muß wohl 15 Jahr jünger wie die Staël sein, ein interessantes aber sehr krank aussehendes Gesicht, eine Gestalt, wie wenn sie nur vorübergehen sollte auf der Erde, nicht wohnlich sich niederlassen. Er setzte sich oft in Coppet zu mir und erzählte mir aus Spanien, von seinen Campagnen und dem, was er dort über die Menschen beobachtet hatte. Ich kann begreifen, daß man mit französischer Natur diesen Menschen sehr lieben konnte, französisch gebildet war auch er. Er hatte aber dabei etwas tief Leidenschaft- liches in den Zügen, besonders im Auge. Seine Kränklichkeit war Folge seiner Blessuren. Du sagst in Deinem Brief [vom 30. August], daß Du wohl Lust hättest, einmal Dein Leben, nämlich Dein inneres, zu schreiben. Ich habe Dich wohl begriffen, und wir wollen einmal mündlich darüber sprechen. Es geht sehr vieles in einem vor, allein wer kann von allen bildenden Schmerzen und Freuden, von der vor- bereitenden Kindheit Rechenschaft geben? Als Bild stellt das innere Leben sich doch wohl nur durch das Einwirken auf das äußere dar. Ich bin unbeschreiblich verlangend nach Nachrichten von des Kanzlers Gesundheit. Unbegreiflich ist und bleibt mir immer, daß er Dich, dessen Anhänglichkeit er kennen muß, in diesem Zustand, wo er sich, wie leidlich er sich auch vorkommen mag, doch nicht der 401