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[ Band 5 Brief 168: Humboldt an Caroline Berlin, 11. Julius 1817 ]
Ich war kaum eine Viertelstunde allein geblieben, so kam der Großherzog und brachte ein Frühstück mit. Er blieb bis gegen das Mittagessen bei mir und war so gut und freundschaftlich und vertraulich wie immer. Er wußte unbegreiflicherweise von allen Staatsratsverhältnissen und versicherte, daß mein Ruhm schon in Strelitz erschallt sei. Er redete viel von Dir und läßt Dich auf das herzlichste grüßen. Gegen 3 Uhr wurde ich zum Mittagessen abgeholt. Man ißt zwar mit dem Hofstaat, aber er ist klein und nicht so langweilig. Die Hauptperson außer dem Großherzog ist die alte Landgräfin von Darmstadt *), die Groß- mutter der verstorbenen Königin. Sie ist 88 Jahre alt, aber noch im Gang und Gespräch von einer Rüstigkeit, daß man ihr nicht über einige 60 gibt. Sie ist auch nicht langweilig, wenn man sie nicht zu lange sieht, und erzählt einige alte Geschichten, die einen sehr in die Urwelt der deutschen Fürstenhäuser versetzen. Nach Tisch brachte ich einige Stunden mit den Ministern zu, und um 1/2 8 Uhr versammelten wir uns wieder zum Tee auf dem Schloß, dem das Abendessen folgte. Den andern Morgen stand ich etwas spät auf. Bald darauf kam der Großherzog und ging mit mir die Gärten ab. Die Gartenanlagen sind hübsch und die Vegetation schön. Nach Tisch besuchte mich noch der Großherzog auf eine halbe Stunde, nahm sehr herzlich und freundschaftlich Abschied, und so fuhr ich fort und wieder die Nacht durch. Im Wagen allein habe ich mit unendlicher Freude Deiner gedacht, freilich auch mit großer Sehnsucht, aber es ist mir eigen, mich in das genossene Glück tief hineinzudenken, und so habe ich, wo ich nicht schlief, mich ganz in unsere Vergangenheit versenkt. Gestern aß ich den Mittag beim Staatskanzler. Er hatte sich erkältet, noch mehr aber hat Verdruß auf ihn gewirkt. Er ——— *) Marie Luise Albertine, geborene Gräfin von Leiningen-Heidesheim, geb. 1729, † 1818. 356