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[ Band 5 Brief 162: Humboldt an Caroline Berlin, 23. Junius 1817 ]
fähig wäre, so etwas hervorzubringen, selbst die Fehler sind für die heutigen Menschen zu groß. Das Riesenhafte in Idee und Ausdruck, das Schillern so sehr eigen war, erscheint in keinem anderen Stück so, und so viele Worte, die unter uns beiden Sprichworte geworden sind. Mit Schiller ist immer der größte Kopf dahingegangen, der je unter uns gelebt hat, ich habe schon oft darüber schreiben wollen und täte noch nichts gleich gern, aber man weiß immer nicht, wie man es anfassen soll, und es ist auch außerdem gar nicht die Zeit, in der so etwas gefühlt und ver- standen wird. Gestern war, wie Du vielleicht daran gedacht hast, mein Geburtstag. Kunth, der alte, hat mir vor seiner Abreise einen zärtlichen Brief geschrieben, den mir der Neveu gestern mit einer recht hübschen Brieftasche gebracht hat. Hernach gratulierte mir Boisdeslandes und zuletzt kam noch Heim, der beim Departement, der mir sehr anhänglich ist. Damit aber war es am Ende. Bülow weiß den Tag nicht. Mein Bruder Holwede war zwar hier und den Morgen bei mir, allein das Familiengedächtnis ist bei ihm nicht stark. Im Jahre 1814 ging es mir mit Alexander in London ebenso. Theodor hat auch nicht Kunde davon gegeben. Vermutlich hat er mich mißverstanden. Er fragte, wann mein Geburtstag wäre, den Tag darauf, als er herkam. Ich sagte es ihm. Vermutlich hat er Julius verstanden. So habe ich im stillen an Dich, Du Liebe, Gute gedacht, und wie Du mich so hübsch geweckt haben würdest, wenn Du hier gewesen wärest. Daß die schöne Zeit nicht mehr ist! Alle Morgen befällt mich die tiefe Sehnsucht. 344