< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 5 Brief 100:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 9. April 1816   ]


knüpft, als unmittelbar im Buchstaben und selbst im Wort und
seiner Bedeutung liegt, beweist im Grunde, daß alle einzelnen
Menschen aller Zeiten viel mehr eins sind, als man so denkt und
ahndet. Es ist mir immer klar gewesen, daß die Individualität,
die Art, wie man sich selbständig und von anderen getrennt fühlt,
eigentlich das ist, worin das Geheimnis des Menschendaseins ruht,
und was ich vorzüglich nach dieser Welt erwarte, ist, daß einem
darüber wie ein Schleier zerreißen und ein Licht aufgehen wird,
in dem auf der einen Seite jede Selbstsucht und auf der anderen
jede wehmütige Sehnsucht untergehen wird. Auch in der lebendigen
Gegenwart könnten sich zwei Menschen trotz aller Sprache nie
verstehen, wenn sie wirklich so zwei wären, als sie scheinen. Es mag
aber auch noch andere Gattungen von Individualität geben. So
sind die Tiere wirklich noch mehr getrennt und abgeschnitten und
haben gar kein Verständigungsmittel, als das dunkelste, unmittel-
barste des Gefühls.
Lebe wohl, mein ewiggeliebtes Wesen. Umarme die Kinder.
Hermann grüße auch ganz besonders. Gabriele schreibt sehr hübsch,
daß ihr bloß Hermann leid tut beim Weggehen, denn, sagt sie,
Adelheid hat Augusten, Theodor ist es gewohnt, aber Hermann
tut mir am meisten leid, weil er keine Frau hat.
Ewig Dein H.

101. Caroline an Humboldt                 Berlin, 13. April 1816

Ich habe gestern beim Zuhausekommen aus der Kirche, wo
ich mit Gabriellen, Carolinen, August und Adelheid kom-
muniziert habe, Deinen lieben Brief vom 7. April aus
den Händen des Feldjägers empfangen. . . .
Schleiermacher hat gestern eine unendlich schöne Predigt und

                                                                       229