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[ Band 5 Brief 65: Humboldt an Caroline Frankfurt, 17. Dezember 1815 ]
65. Humboldt an Caroline Frankfurt, 17. Dezember 1815 Der Minister Altenstein ist mit Eichhorn von Paris gekommen, und der letztere geht nach Berlin voraus, um den Weih- nachtsheiligabend dort nicht zu versäumen. Das scheint eine fixe Idee in allen Berlinern, die ich gar nicht tadle, die mir aber doch wunderbar vorkommt, wenn man nicht viele, noch kleine Kinder hat. Immer benutze ich die Gelegenheit, Dir, mein innigst geliebtes Leben, einige Worte zu sagen. Es geht mir sehr wohl und gefällt mir mit jedem Tage besser. Ich finde immer, daß die Zeit die größeste Göttin ist, und wenn ich sagen kann, daß ich etwas lange besitze, so heißt es schon, daß ich es sehr gern habe. Also wird es mir auch immer heimlicher in meiner Wohnung, obgleich in diesen Tagen der Wind sie fürchterlich umsaust. Sagte ich Dir, süßes Herz, daß ich am vergangenen Mittwoch in Darmstadt war? Man hat mich mit sehr großer Auszeichnung und Höflichkeit aufgenommen. Aber die Höfe sind nun einmal selten amüsant. Ich glaube aber wirklich, daß ich Dir das alles schon schrieb. Nur von der alten Zeichnung des Kölner Domes, weiß ich gewiß, schrieb ich Dir nicht. Es hat sie ein Architekt Moller *), dessen Du Dich vielleicht von Rom aus erinnerst. Er ist eigentlich ein Hannoveraner und gehört zu Kohlrauschens Protegés. Wirklich verdient er es, er ist ein sehr ausgezeichneter Mensch. Von der Schönheit dieser Zeichnung und dieses Turmes hast Du kaum einen Begriff. Es ist die reinste Ausführung gotischer Baukunst, die man sich denken kann. Überall bis ins Kleinste hin wiederholen sich dieselben Glieder, alle ruhen aufeinander und entfalten sich für sich wie in einem organischen Leben, der ganze Turm gleicht einer still und reich aufstrebenden Pflanze und endigt sich oben, wo er ——— *) Georg Moller, geb. 1784, † 1852, Architekt, war vor 1810 drei Jahre in Italien. 152