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[ Band 5 Brief 61: Humboldt an Caroline Frankfurt, 5. Dezember 1815 ]
und Verfassungsliebe ist schlechterdings nicht Liebe zum Volk, nicht Übereinstimmung mit seiner einfachen und geraden Sinnesart, nicht Mitleid mit seiner Lage oder seiner Unbehilflichkeit, für die reine und gute Absicht passende Mittel zu finden, es ist Liebe zu einem Teil der Gesellschaft und in Paris wirklich zu dem schwatzenden, fast nie handelnden, zu dem Lafayette *), Tracy und solche Menschen gehören. Daher ist er auch ganz versöhnt mit denen, die die Anti- poden aller Möglichkeit von Freiheit sind, wie Talleyrand, Cau- laincourt **), weil sie doch immer einen Firnis von liberalen Ideen herausstecken, und wäre Napoleon nur ein bißchen weniger will- kürlich gewesen, so hätte allen diesen Herren das Maß seiner Frei- heit vollkommen genügt. Du wirst in dem ganzen Brief eine Art Theatersprache finden. Es schmerzt mich wirklich, so zu urteilen, aber es ist doch nicht anders. Dabei ist Alexander doch immer sehr viel und hat auch sehr gute Seiten, aber diese hier sind mir furchtbar, es kann mir ordentlich manchmal mit ihm bange und unheimlich werden. Es ist närrisch genug, daß Talleyrand meine Rechtfertigung übernimmt. Ich bin ihm fast immer, namentlich in Wien, sehr ent- gegen gewesen und habe ihn in Paris sehr vernachlässigt; aber es ist schon mir unverkennbar gewesen, daß er eine gewisse Zuneigung zu mir hat. Es liegt vermutlich nur daran, daß ihn oft in Kon- ferenzen Worte amüsiert haben, die ich gesagt habe. Was aber auch Alexander sagen mag, wirst du deutlich sehen, daß es gar kein angenehmes Leben für mich in Paris geben kann. Jetzt noch einiges zum Verständnis. Der Abend bei Frau v. Jasmund. Wir hatten mit dem Kanzler, der Jordis und der ——— *) Marquis de Lafayette, geb. 1757, † 1834, berühmter französischer Ge- neral und Staatsmann. **) Armand Augustin Louis Graf Caulaincourt, geb. 1772, † 1827, fran- zösischer Minister. 144