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[   Band 5 Brief 61:    Humboldt an Caroline    Frankfurt, 5. Dezember 1815   ]


Zeit, den Ereignissen, den Menschen zu sprechen gehabt, daß wir
darauf noch nicht gekommen sind. Ihr Urteil hierüber ist zwar
nicht immer gerade tief und eingreifend, aber ihre Milde und Klar-
heit, die gegen die frühere Zeit sehr zugenommen hat, ersetzen dies.
Adolph bleibt noch einige Tage hier, und die Mutter selbst nicht
länger.
Die Cüstine gibt sich viel Mühe mich für ihre Tees zu gewinnen,
und ich sehe recht, welch ein Unterschied zwischen Deutschland und
Frankreich ist. In Paris war sie mir ein ordentlicher Trost. Sie
hatte so nichts von dem, was ich an den übrigen nicht mochte, in
allem, was sie sagte, lag vergleichungsweise mehr Gemüt, und es
wurde mir immer wohler mit ihr. Hier ist das ganz anders. Hier
ist sie in deutschen Gesellschaften mir nur eine Art Störung, und
in ihrer eigenen fühle ich eine unbequeme Leere, ob ich gleich alles
Gute an ihr wiedererkenne, was ich im Sommer in Paris fand.
Der Sohn ist gewiß nicht uninteressant, allein sowie ich allein bin,
komme ich gar nicht dahin, irgendeinen Menschen kennen zu lernen.
Jeder Besuch wird eine Art Geschäft und sucht einen Zweck, und
der Hang der Einsamkeit reißt mich so hin, daß es mir wie ein
Unglück erscheint, ausgehen zu müssen. Wenn ich mit Dir bin, sind
einmal gewisse Stunden, die man immer zusammen verlebt, denen
es mir nie, da Du mit den Kindern da bist, einfallen könnte, das
Alleinsein vorzuziehen, und in diesen kann sich allein auch mit anderen
ein freies Gespräch entwickeln.
Bei Stein war ich gestern mit Carolinen und Pfuel *) — dem
Schwimmer — der aber ein höchst interessanter Mensch ist und sich
jetzt noch mehr entwickelt hat, den ganzen Abend. Sie war nicht
zu Hause, was eigentlich die Unterredung noch mehr zusammenhielt,
die mit mehreren sich natürlich zerstreut.

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*) Ernst v. Pfuel, geb. 1779, † 1866, seit 1815 im preußischen General-
stab.

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