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[   Band 5 Brief 58:    Caroline an Humboldt     Berlin, 23. November 1815   ]


58. Caroline an Humboldt                  Berlin, 23. November 1815

Mein teures, geliebtes Wesen!
Wie doppelt dankbar ich für Deinen letzten Brief gewesen,
glaube ich Dir letzthin in der Eile nicht gesagt zu haben.
Du gutes, liebes Wesen! Mir noch in der Nacht, nach
einer wahrscheinlich sehr ermüdenden Konferenz, geschrieben zu haben.
Glaube nur, daß ich es mit innigstem Dank empfinde.
Deine Sehnsucht nach Muße und Freiheit von Geschäften denke
ich mir wie die Sehnsucht, die man in der Starrheit des Winters
nach den ersten linden Lüften des Frühlings in sich spürt. Ach,
die letzten Tage wird es noch sehr bunt durcheinandergegangen
sein. Ob Du wohl heutigen Tags weg von Paris bist? Das
Publikum fixiert hier des Fürsten Abreise auf den 20. Die Leute
zerbrechen sich den Kopf darüber, was Du in Frankfurt machen sollst.
Friedländer, unser Bankier, hat die Gräfin Schlabrendorff *) ge-
fragt, ob die kleine Levy als Frau v. Varnhagen nun hoffähig
sein würde. Ich glaube, er hat es getan, um die Schlabrendorff
zu ärgern. Die Frage wäre doch sonst zu läppisch.
Die kleine Schrift **) ist von Körner. Er hat mich gebeten, sie
Dir zu schicken. Sie greift nicht stark genug auf bewegte Gemüter
ein, obgleich alles gut und wahr ist, was darinnen steht. Ancillons
Schrift scheint mir mit mehr Prätension als Tiefe geschrieben zu
sein und ein gewisses Durchwinden durch die Klippen der Zeit.
Sie soll frei geschrieben sein und ist es nicht.
Es geht in Berlin ein Gerücht, unser Kronprinz werde eine
Reise nach Italien machen, begleitet von Ancillon und Hirt ***) und
einem Adjutanten. 

———
*) Nichte des Grafen Gustav Schlabrendorff, geborene Gräfin Kalckreuth.
**) Stimme der Warnung bei dem Gerücht von geheimen politischen
Verbindungen im preußischen Staate, Berlin 1815.
***) Aloys Hirt, geb. 1759, † 1836, Archäolog und Kunsthistoriker.

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