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[ Band 5 Brief 6: Humboldt an Caroline Paris, 18. Julius 1815 ]
dung, obgleich mit der vollsten Anerkennung des Getanen. Bei der preußischen Armee ist allein und ausschließend der Sinn der strafenden Gerechtigkeit und daher viele von den laxer Gesinn- ten begünstigte Kläger gegen sie; bei der preußischen Armee endlich wird im einzelnen dieser Sinn übertrieben und daher auch manche gegründete Reklamation. Du wirst aus diesen wenigen Worten einsehen, wie dies Verhältnis jetzt hier sehr und nicht immer ange- nehm beschäftigen muß. Die Armee unter Davout steht noch immer an der Loire, allein man nimmt nun ernsthafte Maßregeln, und wenige Tage werden entscheiden, ob sie auseinandergehen wird, oder ob man sie wird von neuem angreifen müssen. Ich glaube das letztere nicht. Nach den gestern hier uns offiziell mitgeteilten Nachrichten ist Bonaparte zu Schiff von der Insel Aix bei La Rochelle gegen die Insel d’Beu zu gegangen. Von der Familie wissen wenigstens wir nichts. Lucian *) scheint sich vorzüglich schlecht benommen zu haben, bloß als ein Anhang Napoleons, sogar ohne Selbständigkeit. Schlabrendorffen **) habe ich den Tag nach meiner Ankunft besucht. Ich wollte ihn einladen, mit dem Kanzler und mit mir zu essen. Allein wie ich in die Stube trat, sah ich, wie unmöglich nur ein solcher Vorschlag war. Er hatte einen über anderthalb Hände breiten langen Bart, sonst ist er wie immer und sieht kaum einmal älter aus. Er grüßt dich auf das herzlichste. Du schreibst so lieb über Dich und mich, süßes Herz. Aber sage nicht, daß Du meine Liebe verdienen willst. Es ist von jeher unendliche Güte von Dir gewesen, sie so zu erwidern, und Deine Liebe hat mich noch neulich tief und innig gerührt. Wie gleich sie sich bleibt, so ist sie mir immer neu, und es scheint mir immer, wenn ich Dich zuletzt gesehen habe, daß Du noch lieber und gütiger ——— *) Lucian Bonaparte, Bruder Napoleons I., geb. 1775, † 1840. **) Graf Gustav Schlabrendorff, geb. 1750, † 1824. Vgl. Bd. II, III, IV. 10