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[ Band 4 Brief 274: Humboldt an Caroline Wien, 5. Mai 1815 ]
anvertraue. Sage es bloß Augusten, den es interessieren wird, wir wollen sonst nicht davon sprechen. Stelle Dir vor, daß ich in meinem 48. Jahre als Minister und während des Kongresses mich habe schießen müssen, und mit wem? Mit dem Kriegsminister Boyen, den Du kennst. Da wir beide wohlbehalten zurückgekommen sind, so hat die Sache nichts Tragisches gehabt. Ich will es Dir von Anfang an mit aller möglichen Offenherzigkeit erzählen. Es war vorgestern, am 3., um 2 Uhr eine Konferenz bei Metternich über die Verpflegung der Armeen im großen, und außer den gewöhnlich anwesenden Gesandten war der einzige Boyen als Nichtgesandter, sonst Stewart und Münster dabei. Als der Gegenstand, der Boyen interessierte, vorüber war, und man noch ein paar andere abgemacht hatte, kommt Nesselrode an mich heran und sagt mir, Metternich habe uns eine ganz ge- heime Mitteilung über einen Brief Napoleons an den Kaiser zu machen, ob ich nicht Boyen entfernen könnte. In diesem Vor- schlag lag mir gar nichts Beleidigendes für Boyen, ich hätte indes freilich mich nicht darein mischen, sondern es dem Kanzler sagen sollen, ich hätte ferner Boyen die gerade Wahrheit sagen sollen. Wie es aber einem manchmal unglücklich geht. Kurz ich stand, ohne mich zu bedenken, auf, sprach mit Boyen, nahm ihn unter einem Vorwand mit aus der Tür und begleitete ihn durch den langen Saal Metternichs. Das einzige fiel mir einen Augenblick ein, daß ich auch weggehen könnte. Allein, da ich immer die Briefe dieser Art fürchte, hielt ich das nicht für ratsam. Wie ich Boyen verließ, sagte er, ich habe ihn etwas un- geschickt wegkomplimentiert, was in Rücksicht auf ihn wahr sein mochte, aber es übrigens nicht war, denn selbst der Kanzler hatte geglaubt, er sei freiwillig weggegangen. Ich hielt die Sache mit seinem Spott abgemacht, da mir aber 542