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[   Band 4 Brief 272:    Caroline an Humboldt     Berlin, 4. Mai 1815   ]


272. Caroline an Humboldt               Berlin, 4. Mai 1815

Mein teuerstes Herz!
Dienstag abend, beim Zurückkommen aus Tegel habe ich
Deinen lieben, lieben Brief [vom 28. April] vorgefunden.
Larochens und Bertha waren mit in Tegel, und der
Tag war ihnen eine wahre Erholung. Hellmut und Lützow sind
schon seit acht Tagen fort zur Armee.
Der Major fuhr mit seiner Frau allein in seinem eigenen
Wiener Wagen. August hat nur Augen für Adelheid, das ver-
steht sich, viel bekommt man nicht mehr ab. Ach, aber der Anblick
der Glücklichen, die man liebt, ist wie ein Friede Gottes, der über
einen kommt. Adelchens Schicksal halte ich für eins der seligsten,
das ein weiblich Wesen erfahren kann. Ich darf mir sagen, daß
sie mit Liebe und für Liebe auferzogen und gebildet ist. In
so zarter und doch so üppiger Jugend sogleich den Mann zu finden,
der ihr wie eine Ahndung aus dem Paradies der Liebe im Herzen
lag, dem sie in der Brust lebte wie eine Verheißung eigentlichen
Lebens und höchsten Glücks, das ist ein seltenes Glück, selten und
einzig.
Der Tag des Prinzen Abreise ist noch nicht bestimmt. Ich
glaube nicht, daß der liebe August den 15. Mai hier erlebt. Der
17. ist Adels Geburtstag. Morgen wäre der des teuren Wilhelm.
Ob er wohl von uns und von dem Treiben der Erde weiß? Ob
er wohl weiß, wie das Andenken an ihn mit uns lebt? Einmal
möchte ich doch noch an der Stelle knien, wo sein schöner Körper
ruht, *) vielleicht schon eins mit der umgebenden Erde.
Mit Carolinen geht es gar nicht gut, ach gar nicht! und mir
wird immer bänger und bänger um sie. Ich könnte sie nicht ver-
lieren, ohne mitzusterben.

———
*) An der Cestiuspyramide zu Rom.

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