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[ Band 4 Brief 224: Humboldt an Caroline Wien, 20. Dezember 1814 ]
Aber wie ich einmal stehe, wie ich tief hineingekommen bin und, wenn ich lebe, heute oder morgen die Verpflichtung bekommen kann, für die Sache einzustehen, so weiche ich nun nicht davon, sondern setze, wenn auch die Sache künftig stürmisch werden sollte, das Äußerste daran. Jetzt habe ich, wie ich Dir einmal mündlich erklären werde, nicht viel tun können; aber ich habe seit zwei Jahren sehr viel Erfahrung gesammelt und viel Übung erworben und bin besser und brauchbarer geworden. Daß der Kongreß in Wien wäre, hätte man nie zugeben sollen, und ich habe es in Paris schon laut genug gesagt. Selbst die Nähe der Kabinette ist schädlich. Ich habe wieder am Agamenmon gearbeitet. Der Prolog, mit dessen ersten Versen ich besonders immer unzufrieden war, ist jetzt recht gut geworden. Der Chor vor dem Erscheinen des Aga- memnon, der einer der schönsten ist, ist nun auch zum Druck fertig. Es vergeht selten ein Abend, an dem ich nicht etwas mache. Wären es auch nur ein paar Verse, es macht den Geist frei und erhält einen in einer würdigeren Sphäre. Die Wirklichkeit behält, selbst wenn es sich um die edelsten Dinge handelt, immer etwas, das leicht gemein oder dürftig wird. Das ist in der Liebe das Tief- rührende, daß sie das Überirdische im Irdischen sucht. In diesem bis auf einen Punkt immer vergeblichen Ringen drückt sich die edelste Dürftigkeit der menschlichen Natur aus, die das reinste Mitleiden weckt, das gleichsam die Quelle alles ewigen Hohen ist. Wolf ist göttlich, nur allein kommen zu wollen. Mit Hermann hat er zum Teil wohl nicht Unrecht, ich aber habe sehr recht, mich nicht an ihn zu wenden. Wolf macht erstlich nichts recht regel- mäßig, und ich wäre mit ihm sitzen geblieben, da ich hingegen von Hermann nun schon alles habe. Dann versteht Wolf von dem, was hier Hauptsache ist, von der Metrik wirklich wenig, weil er es nie getrieben hat. Endlich ist er, wie ich aus Erfahrung weiß, 442