< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 4 Brief 219:    Caroline an Humboldt     Berlin,  10. Dezember 1814   ]


Über Deine Verhandlungen mit Hermann in Leipzig muß ich
Dir doch sagen, daß Wolf darüber außer sich ist, daß dieser den
Agamemnon durchsieht und herausgeben soll. Er ließ mir merken,
er hätte das wohl getan, und Hermann wäre nicht der Mann dazu.
Ob das nun wirklich so ist, ob er es nur so aus allgemeiner Lust
am Tadeln sagt, bin ich nicht imstande zu beurteilen. Er sagte, er
habe Dir darüber geschrieben. Ich sehe ihn zuweilen, ja ich würde
ihn oft sehen, denn er wohnt mir sehr nahe, wenn er nicht die
Marotte hätte, mich nur allein sehen zu wollen. Er kehrt auf
der Treppe um, wenn der Bediente ihm sagt, daß jemand bei mir
ist, und er kommt um 1/2 12 Uhr Nachts, um mich allein zu finden.
Ein wunderlicher Heiliger! Aber immer viel Verstand, doch ist er
nicht vom lebendigen Hauch der Zeit durchdrungen, und bei den
Besseren ist das Gemüt und Vergessen eigner Kleinigkeiten.
Das Zettelchen der Prinzeß Luise ist sehr schmeichelhaft.
Freilich trägt Adelheid immer vor Caroline den Preis davon, und
so lieb ich sie auch habe, so versichere ich Dir, tut das mir oft
weh, und ich tue, was ich kann, um daß Caroline keine bittre Emp-
findung deshalb habe. Daß aber Caroline, da es ihr doch nicht
ganz entgehen kann, nie eine Jalousie deshalb gegen Adelheid gezeigt
hat, ist wirklich eine sehr schöne und sanfte Seite an Carolinen.
Ja wohl ist es rührend, wenn man an die vergangenen Zeiten
denkt. Recht nahe standen sie mir letzthin wieder in Tegel. Ich
mußte lang an dem Fleck stehen, wo Wilhelm einmal einen kleinen
Vogel begrub, den er so lieb hatte, und der ihm starb. Werden
wir je zu seinem Grabe zurückkommen? Ich kann’s nicht leugnen,
ich habe die allertiefste Sehnsucht danach. —
Ich umarme Dich, mein liebes, teures Herz, mit den Kindern.

                                                                       432