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[   Band 4 Brief 179:    Humboldt an Caroline    London, 18. Junius 1814   ]


durch die Moquerien viel lebendiger geworden, als er in Frankreich
war. Denn er hält sich aufs bitterste über alles auf.
Einen sehr interessanten Mann, der, wie seine Frau, mich
mit viel Freundschaft behandelt, habe ich hier durch die Staël ge-
funden. Es ist ein gewisser Sir James Mackintosh *), der Richter
in Ostindien war und nun Parlamentsglied ist. Er hat freilich
eine gewisse aburteilende Steifigkeit und Trockenheit, aber die Frau,
ob sie gleich weder hübsch noch jung ist, hat mehr Herzlichkeit und
eine so naive Freude, wenn sie einem etwas Englisches, eine Stelle
aus einem Dichter oder sonst etwas zeigen kann, das Eindruck macht.
Ein paar neuere Dichter gibt es doch, die wirklich Genie haben
und originell sind, Campbell **) und ein Lord Byron ***). Von ersterem
hat man nur lyrische Stücke, aber ein unendlich schönes und
wahrhaft Schillersches auf Englands Seemacht, wo unter anderem
der Vers vorkommt: »Her home is on the deep« — ihre Heimat
ist auf der Tiefe. †)
Byron hat Reisen in Griechenland gemacht, seine Gedichte sind
orientalische Erzählungen, aber mit vielen, oft tiefen, aber meist
wunderbaren philosophischen Reflexionen durchwebt und vorzüglich
schön durch die Erinnerungen und Schilderungen aus Griechenland.
Wären wir nicht durch so eine Menge bloßer Zeremonien-
gesellschaften von allem Besseren abgehalten worden, so bin ich
überzeugt, hätte ich noch mehrere interessante Bekanntschaften ge-
macht. So war es rein unmöglich, und man mußte sich nur glücklich
schätzen, wenn man die Kunstsachen sehen und ein paarmal wieder-
sehen konnte. Auch davon ist mir natürlich vieles entgangen, doch
sah ich wenigstens die Hauptsammlungen. Zu diesen gehört vor

———
*) Sir James Mackintosh, geb. 1765, † 1832.
**) Thomas Campbell, geb. 1777, † 1844.
***) George Noel Gordon Lord Byron, geb. 1788, † 1824.
†) Aus dem berühmten Lied »Ye mariners of England«, 1801 in Hamburg
gedichtet.

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