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[   Band 4 Brief 160:    Humboldt an Caroline    Paris, 18. April 1814   ]


oder anderthalb Stunde vor Tisch, etwas schreiben zu können.
Vor 10 kommen aber auch schon Leute zu mir. Das Essen zieht
sich hier immer bis gegen 8 hin, und dann gehe ich meistenteils
noch in Gesellschaft, wenigstens um Alexander zu sehen, der ebenso
zerstreut lebt, und mit dem ich sonst gar nicht zusammenkomme.
Bei dem allen geschieht doch wenig Arbeit. Wäre man ganz hier,
würde sich das indes auch finden, und man gewänne hier wie
überall auch ruhige Vormittage und Abende. Nur ein kurzer
Aufenthalt läßt es nicht zu.
Auf dem Museum war ich erst einmal und nur bei den
Statuen, aber mit unendlichem Genuß. So viel und so Schönes
auf einmal zu sehen, führt alle Gedanken nach Italien und Rom
zurück. Überdies waren mir die große tragische Muse und die
Mediceische Venus neu. Allein was mich unendlich frappierte
und fast unter allen Antiken ebenso erstaunte als sonst das Antike
es unter Modernen tut, ist ein Fragment eines der Basreliefs
aus dem Parthenon in Athen.
Es stellt die Panathenäen *) vor und hat meist weibliche,
ganz bekleidete Figuren. Es ist unbeschreiblich, welcher Zug des
Altertums einen auf den ersten Blick dabei anweht. Eine so stille
Größe ruht auf nichts anderem.
Der König geht oft ins Museum und hat, wie Alexander
versichert, viel Freude daran. Bis jetzt ist der Vorsatz, unsere
Antiken und Kunstsachen zurückzufordern, noch fest. Die vier
Pferde des Brandenburger Tores, die noch nicht aufgestellt waren,
sollen schon unterwegs sein. Visconti **) ist schon bei mir gewesen
und tut sehr freundschaftlich, überhaupt die Italiener, auch Prinz
Corsini mit seinem Bruder war bei mir. So sieht man alles

———
*) Das größte Fest der Athener zu Ehren der Athene.
**) Römischer Archäolog, seit 1799 in Paris, Professor der Altertümer
und Aufseher der Sammlungen des Louvre.

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