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[   Band 3 Brief 112:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 12. September 1809   ]


in Schillern selbst, dem sonst alles Menschliche so unglaublich offen
stand, herrscht zu sehr allemal notwendig egoistische Neigung zu
einzelnen Hervorbringungen vor, um ihre Welt aus einem einzigen
Gefühle zu bilden, und den Frauen fehlt es bald an der Selb-
ständigkeit, die nur die Herrschaft der Empfindung anerkennt, bald
an innerer Treue. Nur wo, wie in Dir, beides zusammenkommt,
ist Stetigkeit des Gefühls mit wahrer Seelenfreiheit verbunden.


113. Caroline an Humboldt           Albano, 15. September 1809

Mittwoch ganz früh kam Dein Brief vom 15. August, für
den ich Dir innigst danke. Ach, Du wußtest, wie Du ihn
schriebst, daß ich ebenso an Dich dachte, wie Du, mein
teures Wesen, an mich. Es war und bleibt der merkwürdigste Tag
unseres Lebens, der, wo eigentlich das Schicksal, das stumm und
allwaltend auf der Erde herum schreitet, uns zuerst nach glücklichen
Jahren berührte. Das Glück, solang ihm keine der Blüten ge-
knickt wird, die es trägt, hat nicht allein den Charakter der höchsten
Schönheit, es hat auch den des Heiligunantastbaren, und das wird
ihm benommen, wenn geschieht, was damals uns geschah. Alles
Glück ist seitdem mit Sorge gemischt.
Gestern war einer der wunderbar heitren Tage, wo Himmel
und Erde sich gleichsam wie zu einem Fest geschmückt hatten. Der
Prinz *) ging mit einer Gesellschaft nach Monte Cavo. Ich gab
der Gräfin Vay die Li *) mit, ich selbst machte die Partie nicht mit,
weil ich den Hermann zu viel dabei hätte strapazieren müssen, fuhr aber

———
*) Vgl. S. 31.
**) Tochter Caroline.

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