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[   Band 3 Brief 80:    Humboldt an Caroline    Königsberg, den 2. Junius 1809   ]


muß man immer sein, und immer nur durchs Schöne; ist’s nicht durch
Genuß, so ist es durch Sehnsucht. Und mit dem Klassischen und
Romantischen, dem Antiken und Gotischen, dem Vollgenuß an der
gegenwärtigen Unendlichkeit in einer schönen, reichen, südlichen Natur
und dem Brüten über einer idealen [Unendlichkeit] in einer Kloster-
zelle oder einer nordischen Gegend ist es immer, wie es in der »Re-
signation« heißt: »wer dieser Blumen eine brach, begehre die
Schwester nicht!« Doch vollenden immer nur beide den Menschen.
Ich mache darum nicht zur Regel, was leider auch den Glücklichsten
unter uns fast immer geschieht, daß man darum bald das eine,
bald das andre entbehren muß; ich meine nur, daß, wenn es das
Schicksal so fügt, man nicht schwermütig, nicht untätig werden,
sondern das jedesmal Gegenwärtige ergreifen, sich aneignen, heben
und veredeln muß, und mir gelingt das fast immer und zu jeder
Zeit leicht; nur bedarf ich von Zeit zu Zeit der Einsamkeit, und die
gebe ich mir in reichem Maße. Heute z. B. bin ich seit Mittag
nicht ausgewesen, habe gearbeitet bis vor einer halben Stunde,
schreibe nun Dir und gehe dann zu Bett, und denke so fort an
Dich, bis ich eingeschlafen bin, und mein erster Gedanke am
Morgen bist wieder Du, wie mein erster Blick Dein Bild und das
der kleinen Mädchen.
Mit der nächsten Post schicke ich Dir wieder Geld. Mit der
Besoldung ist es doch besser, als ich dachte. Der Abzug für die
brotlosen Offizianten ist für mein Gehalt nur fünf Prozent, jeder gibt
aber mehr, da diese armen Menschen fast Hungers sterben, ich gebe
acht Prozent, dagegen werden den Geheimen Staatsräten zwei Drittel
in Gold bezahlt, und ein Friedrichsdor gilt jetzt sechs Reichstaler
zwei Groschen. Wielange aber der König noch wird Gehälter
zahlen können, ist eine andere Frage, von der wir nicht reden wollen.
Preise mich glücklich, liebe Li, daß ich nur mit dem unschuldigen
Kindergeschlecht zu tun habe und an keinen andern Sünden teilnehme.

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