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[ Band 3 Brief 12: Humboldt an Caroline Erfurt, den 19. November 1808 ]
schlägt, durch eine Stimme von oben von der Verdammnis gerettet wird, Mephisto aber mit Faust abfährt. Gegen das Ende ist eine Blocksbergszene und ein Marionettenspiel daselbst, die füglich hätten wegbleiben können, wo wieder die Xenien, Nicolai und sogar Tegel vorkommen. Vorgestern abend, als wir bei Goethe waren, las er uns eine Art Märchen vor. Aber leider fielen Caroline und mir gar sehr die Ausgewanderten dabei ein. Es ist eine der Kompositionen, die nur zum Ausruhen bestimmt sein können. Vieles von dem Neuen im Faust ist uralt. Die letzte Szene ist 30 Jahre alt, aber es hatte nie ein Sterblicher sie gesehn. Goethe hat noch mehr Szenen, die ein andermal werden eingeschaltet werden. Fernow *) ist in einem schrecklichen Zustand. Ich fand ihn auf dem Bett sitzen, und Du würdest erschrecken, wenn Du ihn sähest. Sein graues, starkes Haar ganz gesträubt und sein Gesicht geschwollen und fratzenhaft verzerrt. Dabei sichtbaren Kampf mit ewigen Beschwerden und oft schreckliche Schmerzen. Seinem Tode sieht er natürlich in nicht langer Zeit entgegen. Er ist aber von einem bewunderungs- würdigen Mut und sogar einer großen Heiterkeit, und spricht mit größester Ruhe von seinem Tod, seinen Freunden in Rom und lite- rarischen Gegenständen. Sein ganzes Unglück leitet er davon her, daß er Rom verlassen hat und sagt, daß er schlechterdings wieder hingehen würde, wenn sein Übel es erlaubte, und sieht nun die gänzliche Unmöglichkeit für nun und immer vor Augen. Seine Frau ist vor einem Jahr gestorben. Sie hat das traurigste Schicksal gehabt. Sie war ganz fremd in Deutschland geblieben und auch der Mann hatte sie sozusagen verlassen, da er den ganzen Tag ——— *) Karl Ludwig Fernow, geb. 1763, † 1808, zuletzt herzoglicher Biblio- thekar in Weimar. War von 1794—1803 in Rom. Er war mit einer Römerin verheiratet gewesen, die 1807 gestorben war. 23