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[ Band 2 Brief 109: Humboldt an Caroline Rom, 9. Oktober 1804 ]
Gedanke an die Vergangenheit wieder in aller seiner Stärke und Fülle hervorruft. Glaube mir, liebe Li, es ist kein Verdienst, das gefunden zu haben, es ist ein Glück, es zu besitzen. Es kann nicht genommen werden, aber es wird gegeben. Es wäre auch nicht gut, wenn viele so wären; denn man genießt mehr dabei, als man Genuß gewährt, und es schlägt die Tätigkeit nieder, durch die wieder doch nur auch das Höchste gedeiht. Der Mensch muß sich eigentlich ein beschränktes, bestimmtes Objekt machen und an das sich wenigstens auf eine Zeitlang verlieren können. Du wirst das in Goethe und Schiller oft bemerkt haben. Schiller ist nur darin freier, weniger gebunden durch seine Natur, daß er sein Objekt mit mehr Unab- hängigkeit wählt und es, wenn die Arbeit vorbei ist und die Ruhe zurückkehrt, mit allgemeinerem Blick überschaut. Aber beide heften sich fest, vergessen eigentlich immer über einem alles, wenn sie gleich das All in dem einen darstellen wollen; im bloßen Leben, im Denken und Empfinden wird dem, wer wie ich gestimmt ist, leicht scheinen, auf einem höheren Standpunkt zu stehen, und wird es in der Tat. Aber er wird immer jener bedürfen und durch sich selbst nur wenig das weiter bringen, was ihm selber doch über alles ist. Man braucht eigentlich eine Handhabe, eine sinnliche Gestalt, das Höchste zu erfassen, und mir fehlt es an einer mir durch die Natur selbst gegebenen. Ich sehe es vielseitiger und reiner, davon bin ich selbst überzeugt, weil ich mich nie an eine Gestalt binde, aber ich kann es auch nicht so lange und bestimmt festhalten. Nur eins, glaube ich, ist mir eigentümlich, und das danke ich großenteils Dir, liebe Li, das Höchste gerade durch das Medium des menschlichen Wesens zu erkennen, am liebsten gerade die Menschen in ihrem natürlichen Sein und Tun zu beobachten und dadurch auf das Reinste und Höchste zu kommen. In den meisten Menschen schadet die Phantasie dem Gefühl, die Dichtungskraft der reinen Beobachtung der Alltagswirklichkeit und diese jener. Darin glaube ich allein mir 261