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[   Band 2 Brief 80:    Humboldt an Caroline    Rom, 19. Junius 1804   ]


Die meisten haben höchstens in ihrem Leben einen Augenblick eine dunkle
Ahndung dessen, was eigentlich das Leben ist. Hernach verlassen sie ent-
weder diese besseren Gefühle ganz oder tragen sie schwärmerischerweise
in eine Wirklichkeit über, in die sie nicht gehören, und vermischen be-
ständig das Innere mit dem Äußeren, auf dessen reine Scheidung
alles ankommt. Sie glauben immer, das Leben müsse einen andern
Zweck haben als das Leben selbst, da es doch nichts sein sollte als eine
ewige Sehnsucht, sich tiefer und tiefer in das Schicksal der Mensch-
heit zu versenken, von dem man nie anders etwas ergründet, dem
man nie etwas ablernt, als dadurch, daß man sich selber, in seinem
ganzen Sein und Wesen, mehr und tiefer ihm gemäß stimmt. Wer
nicht diese innere Existenz mit Sorgfalt hegt, wer nicht schon eine
unwiderstehliche Begierde in sich trägt, die ganze Menschheit rein
durch sich selbst auszumessen, wer gar dies höchste Dasein äußeren,
auch noch so guten Zwecken unterordnet, der ist immer von der
wahren Ansicht entfernt. Ich glaube ihr so nahe zu sein, als ich
mit meinen Kräften kommen kann, aber wenn ich es ihr bin, das
ist gewiß buchstäblich wahr, danke ich es allein oder doch ganz vor-
züglich Dir. Die Liebe schließt ganz neue Kräfte und neue Sinne
auf, und Dich, die Du so ganz auf diesem Wege wandelst, in dem
Alter, in dem ich am empfänglichsten war, zuerst geliebt und ganz
mit Dir in den gleichen Gefühlen fortgelebt zu haben, immer gefühlt
zu haben, daß Du die gleiche Liebe mit mir teiltest, hat mich sehen
und empfinden lassen, was mir sonst ewig verborgen geblieben wäre.
Erhalte Dich darum, liebe, gute Seele, in froher Heiterkeit des Lebens,
mache, daß wir noch lange zusammen wie jetzt leben können, je länger
wir es tun, je mehr behalten wir einer vom andern, wenn uns das
Schicksal je trennte, und je fester sind wir auch künftig, da es irgend
ein Künftig in jedem Fall doch immer gibt, Eins.
Das einzige, was ich manchmal an Dir tadeln möchte, ist, daß
Du Dir nicht immer von äußeren Dingen genug Freiheit lässest, die

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