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[ Band 2 Brief 47: Humboldt an Caroline Bayonne, 24. Mai 1801 ]
eingehüllt und das Meer und die Tiefe so hell, daß man alle Vor- gebirge unterschied. Bald war es heiter oben, und die Wolken hingen auf das Meer herab. Dann wurde es stiller, und ein prächtiger Regenbogen mit den glänzendsten Farben stützte sich auf der einen Seite auf die Flut, auf der andern auf das Gebirge. Gegen Abend verließ ich die Küste und kam in Guernica an, das einige Stunden davon entfernt liegt. Ich wollte den andern Morgen fort, aber die Nacht war fürchterlich, ein Sturm und ein Regen, wie ich kaum je erlebt hatte. Am andern Morgen war die ganze Ebene von Guernica unter Wasser, auf der Chaussee, über die ich mußte, stand es mehr als mannshoch, alle Kommunikation war abgeschnitten, und ich mußte mich entschließen zu bleiben. So blieb ich den ganzen folgenden Tag und den überfolgenden Vormittag. Ich hatte keinen Menschen im Ort, der interessant gewesen wäre, ein Wirtshaus, in dem ich nur ein Loch zum Schlafen hatte und keine Zeile schreiben konnte. In dieser höchsten Not fand ich einen Don Quixote. Mit dem setzte ich mich in der Küche ans Feuer, und da habe ich die Kraft des Komischen wirklich erkannt. Denn ich versichere Dir, daß ich mein ganzes Unglück stundenlang vergessen und von Herzen gelacht habe. Als ich endlich weg konnte, stand zwar auf der Chaussee das Wasser noch so, daß es einem Mann bis an die Brust ging. Ich nahm aber einen Umweg und kam ohne alle Gefahr mit nicht einmal viel Mühe wieder fort und von neuem an die Küste. Der folgende Tag war schön, dann wieder entsetzlicher Regen, und so abwechselnd bis hierher. Die Über- schwemmung hat großen Schaden angerichtet, Häuser und Brücken weggerissen, die Wege verschüttet usw. Auf der großen Straße von Madrid hat das Wasser zwei bis drei Fuß gestanden. Auch Menschen sind umgekommen. Auf dem Wege, den ich ritt, war noch den Tag zuvor ein Maultierführer mit vier Maultieren ertrunken. Seit 30 Jahren weiß niemand von gleich hohem Wasser hier. Der 107