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[ Band 2 Brief 46: Humboldt an Caroline Bilbao, 16. Mai 1801 ]
Tertulia *), wo ich war, machten die ausgeteilten Culadas einen Teil des Gesprächs aus. Zu zweifeln, daß alle, Tänzer und Zuschauer, Vornehme und Geringe, zwischen denen so hier, zumal bei Tanz und Ballspiel, aller Unterschied wegfällt, von Herzen lustig sind und sich aus Grund der Seele amüsieren, ist unmöglich. Denn wo ich nur hinsehen mochte, unter das Gedränge oder auf den großen mit Bäumen bepflanzten Platz herum, sah ich überall tanzen, springen, lachen, schreien, und vor allen Dingen Culadas austeilen. Diese Lustigkeit ist um so auf- fallender, als die Geschlechter eigentlich dabei wenig gemischt sind. Man sieht ganze Reihen von Frauen und Mädchen allein gehen, und es ist hier Ton, daß der Mann seine Freunde, die Frau ihre Freundinnen aussucht. Überhaupt sind die Frauen hier weit aus- gelassener lustig als die Männer. Die Männer sind gar nicht galant. Abends 12 Uhr Ich bin gestört worden, meine liebe Li, man hat mich zum Spaziergang abgeholt, und nun ist es so spät geworden, daß ich nur noch einige Worte zu diesem Briefe hinzufügen kann. Es ist gerade um diese Stunde ein Jahr, daß Du schon in heftigen Schmerzen mit der kleinen Adelheid warst. Gutes, teures Wesen, wenn ich Dich da verloren hätte, ach! und Du warst doch sehr, sehr krank, wie wäre es dann anjetzt mit mir und den armen Kleinen. Mich schaudert noch, wenn ich nur daran denke. Ich kann es nicht glauben, daß ich Dich je, je verlieren werde. Denn recht ernstlich und ganz ruhig, ja ich möchte sagen, kalt überlegt, ich weiß nicht, was aus mir werden sollte, wie es mir möglich sein würde, nur meines Be- wußtseins mächtig zu bleiben. Der Mensch muß etwas Festes haben, woran er sich halten kann, etwas, das ihm ein Maß und ein Ziel ist, sonst hat er für sein eigenes Dasein keinen Begriff, und es hat ——— *) Gesellschaft. 103