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[ Band 2 Brief 41: Humboldt an Caroline Bordeaux, 24. April 1801 ]
Bayards Memoiren, daß Ludwig XI. und XII. hier von Zeit zu Zeit residierten? Späterhin wurden, wenn ich mich nicht irre, hier die beiden Guisen ermordet und ihre Leichname in einem Kamine einer der Säle verbrannt. Auch die unglückliche Valentine von Mai- land, deren schöne Bildsäule in dem musée des petits Augustins ist, vertrauerte hier einen Teil ihrer Witwenschaft und nahm hier ihr rührendes Denkzeichen, den Tränenkrug mit der Umschrift: »rien ne m’est plus et plus ne m’est rien« an. Jetzt sieht man nur die Spuren der Zerstörung. Die Fenster sind teils zerbrochen, teils zu- gemauert, der Platz, wo ehemals Ludwigs XII. Bildsäule stand, ist leer, ein Teil der inneren Gemächer ist in eine Kaserne umgeformt, und das alte ehrwürdige Gemäuer entstellen nüchterne republikanische Inschriften. Die ehemalige Schloßkirche ist man jetzt daran ganz und gar einzureißen. Nur die Hälfte steht noch unter Dach, und nur an ihr sieht man noch die Höhe des ganzen Gewölbes, das dem in Notre Dame in Paris gleicht. In einer Straße in Blois fand ich auf einmal eine Frau aus Barcelonette mit ihren beiden Töchtern wieder, denen ich einmal in Paris mit den Kindern begegnete. Die Frau spielt eine Orgel, und die Mädchen tanzen eine sogenannte Allemande. Hier wie in Paris hielt das umstehende Volk die ganze Familie trotz ihres braunen Mohrenteints für Deutsche. So kommen wir durch die französische Unwissenheit auch um den einzigen Ruhm, wenigstens nicht mit Murmeltieren und Orgeln in der Welt umherzuziehen. Zwischen Blois und Tours ist der Weg, den man den schönsten Frankreichs zu nennen pflegt. Er läuft auf einem hohen Damm — la levée — hart an der Loire hin. Die Aussicht zur Rechten ist unbedeutend. Meistenteils nur kleine, steile Anhöhen, in denen Keller angebracht und sogar Häuser hineingebaut sind. Aber am jenseitigen Ufer übersieht man ein weites Land, auf dem Wiesen, Gehölze und Acker abwechseln. Den ehemaligen Reichtum der Gegend bemerkt 78