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[ Band 2 Brief 33: Humboldt an Caroline Berlin, 16. Mai 1797 ]
So oft denke ich mir’s und verfolge es durch alle Umstände Deines Lebens, durch die Menschen, die Dir nach und nach näher getreten sind, wie unglaublich wohltätig, wie gewiß, solange es noch Menschen und menschliche Gefühle gibt, ewig wirksam Dein Dasein ist, liebe Li. In Deinem reinen und einfachen Wesen, das zugleich mit allem Menschlichen so vertraut und über alles Mensch- liche so erhaben ist, ist alles, was in andern nur als toter Stoff, höchstens zu einzelnem Gebrauche da liegt, zu etwas Lebendigem, das für sich selbst besteht und sich für sich fortpflanzt, geläutert und erhöht; das Schönste und Beste, dessen der Mensch fähig ist, ist ewig in Dir wirksam und rege, in die Anmut der Weiblichkeit verschmolzen, ergießt es sich von Dir aus auf alles, was Dich um- gibt. Glaube nicht, daß ich mich täusche. Wäre mir die Wahrheit nie heilig, so wäre sie mir’s da, wo ich von dem rede, was im Menschen möglich ist. ——— Ich erkenne sehr gut, daß es physisch un- möglich ist, daß der Mensch in jedem Augenblick sich selbst gleich ist, ich weiß, daß auch Du nicht vermagst, dies eigentliche und ursprüngliche Wesen immer ganz, nicht einmal immer durchaus rein darzustellen, aber wie ich Dich schilderte, so bist Du in Deinen besten Momenten, und noch nie sah ich in irgend einem Menschen das ganze Leben seinen besten Momenten so gleichförmig ähnlich als in Dir. Was Du so, wie Du bist und wie ich Dich empfinde, auf mich wirktest, was sich auch durch mich in Dir entwickelte, was von uns beiden auf unsre guten Kinder, was aus uns allen auf den Teil der Welt, mit dem wir in Berührung traten, überging, das, teure Li, wird nicht vergehn, und in dem können wir sicher ruhen, wenn wir untergehn. Auch fragt es sich, ob man sich nicht, wenn auch das Bewußtsein aller Handlungen, aller Verhältnisse des ganzen Lebens aufhört, dennoch in dieser geistigen Eigentümlichkeit, die sich über unsre Person hinaus verbreitet und über unser Leben hinaus fortpflanzt, auf irgend eine, wenngleich jetzt unbegreifliche Weise, wieder- 65