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[   Band 2 Brief 33:    Humboldt an Caroline    Berlin, 16. Mai 1797   ]


daß wir am Ende plötzlich tun, wovon wir zuerst uns himmelweit
entfernt geglaubt hätten, gerade wie Goethes Lied es schildert. Ich
habe diese Beispiele leider mehr als einmal gesehen, halb und halb
muß ich mir sogar gestehen, es an mir selbst erfahren zu haben.
Beides hat mir eine Milde gegeben, die mich gewiß nie verurteilen,
nie auch nur anklagen läßt.
Gerade die besten, die gefühlvollsten Menschen sehen sich am
ersten auf diese Weise verstrickt. Innere Unbefangenheit, Bewußt-
sein reiner und schuldloser Gefühle und edler Enthusiasmus fürs
Gute führen so natürlich vom gewöhnlichen Pfade ab, und der
Mensch vermag so wenig, sobald er sich von dem regelmäßigen
Laufe der Dinge verlassen fühlt. Aber es muß einen zwiefachen
Maßstab geben, einen äußern und gewöhnlichen für den Zustand
der bloßen Vernunft und der Kälte, einen innern für die, die seiner
würdig sind, für die Momente des innigsten Gefühls des ganzen
Daseins, für die Begeisterung, die nur daraus hervorgehen kann.
Das erste ist der Maßstab des Rechts und des Unrechts, die eigent-
liche Beurteilung der äußern Handlungsweise; das letzte der Maß-
stab der Liebe, der gerechten Würdigung des innern und eigent-
lichen Lebens.
Der letzte ist nicht weniger streng als der erstere, aber er ist ge-
rechter und minder einseitig; er ist ebensowenig geschickt, einzelne Hand-
lungen zu beurteilen, als jener, den ganzen Menschen zu würdigen; er
darf nie gebraucht werden, wenn erst der Moment des Handelns da
ist, aber er ist unentbehrlich, wenn dieser Moment einmal verhallt,
der Schritt unwiderruflich getan ist. Woran könnte sich das gebeugte
Herz wieder aufrichten, wodurch das zerstörte Gemüt wieder Ruhe
gewinnen, als dadurch, daß es auf einmal seinen Gesichtskreis er-
weitert, in den wunderbaren Fügungen des Schicksals die Enträtselung
seines eignen Versehens sucht und durch die strenge, aber parteilose
Betrachtung seines ganzen Wesens wieder Mut und Vertrauen zu

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