< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 2 Brief 31:    Humboldt an Caroline    Berlin, 12. Mai 1797   ]


schmerzlich auch die Wahrheit sein möchte, so ist es die Ungewiß-
heit doch immer noch mehr. Aber schreibe mir ja nur wenige Worte,
oder bitte auch Alexander, es zu tun. Es inkommodiert Dich, und
wenn ich nur weiß, was Du machst, so bin ich beruhigt.
Die Stelle Deines Briefes, wo Du nun dem kleinen Theodor
so fremd zu werden fürchtest, hat mich tief geschmerzt. Aber ganz
kann ich in dieses Gefühl nicht einstimmen. Gewiß liegt in dem
eigenen Stillen unendlich viel. Es ist ein ewiges lebendiges Über-
strömen des einen Wesens ins andere; es ist eine Art der Bildung,
der Aneignung, die auf eine unbegreifliche und doch gewiß so mächtige
und wirksame Weise vor sich geht. Zwar bin ich überzeugt, daß
bei den gewöhnlichen Müttern oder gar bei Ammen auch dies nur
körperlich wirkt. Allein wo das innigste und schönste Gefühl immer
zugleich rege ist, wo der reinste Odem der Liebe die Gabe beseelt
und veredelt, da dringt die wohltätige Wirkung auch gewiß tief in
das ganze Wesen des zarten Geschöpfs ein. Auch hier, dünkt mich,
ist es ein Vorrecht edler und feiner Seelen, denselben Geist, der sie
belebt, auch allem einzuhauchen, was von ihnen ausgeht; was nun
bei andern unbedeutend und tot sein würde, wird in ihnen bedeutend
und erhält Leben und Fruchtbarkeit; und täglich sehe ich ja in unsern
Kindern das unverkennbare Gepräge des Wesens, das ich in Dir
so unendlich liebe und das mich so unendlich beglückt.
Aber wie eng auch diese Verbindung des Kindes und der
Mutter sein möchte, wie schön und rein diese Mitteilung, so kann
sie doch unmöglich die einzige auch in diesem zarten Alter genannt
werden. Auch da gibt es doch schon eigene Organe, womit das
Kind nicht bloß die Mutter unterscheidet und kennt, sondern die
Wirkung ihres Wesens mit einer unbegreiflichen, aber doch so un-
verkennbaren Sympathie empfindet. Ich sehe dies deutlich an mir.
Du weißt selbst, wie unendlich die Kinder mich lieben, wie fest be-
sonders die Li an mir hängt, und ist es nicht bei weitem mehr durch

                                                                       58