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[   Band 1 Brief 163:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Freitag abend, 10. Juni 1791   ]


heiligem Gefühl, so ganz eigen und hingegeben, wie ich Dich für
mich empfand, Du Allgütiger, wer fühlte sich je so aufgenommen,
wie ich mich mit meines Wesens besten Kräften in Dir? War es
nicht gleich der Rückkehr zur süßen Heimat, als meine suchende
Seele Dich gefunden, als sie vor Dir es zu stammeln vermochte,
jedes leise Sehnen sei nun befriedigt, jedem Wunsch blühe Er-
füllung! O, Wilhelm, Wilhelm, Dir das zu sagen, Dich mit
trunkenem Entzücken mein zu nennen und über Dein Wesen keine
Gewalt zu fühlen als die der Liebe, zu welcher Höhe hebt es
meine Seele! — Und ununterbrochen wird nun diese Wonne mich
beglücken, ununterbrochen wird mein ganzes Leben dem glühenden
Wunsch geweiht sein, Dir die höchsten Freuden zu geben, die gött-
lichsten Blüten der Schönheit für Dich zu pflegen. O, Wilhelm,
es versinkt meine Seele in unendlicher Wonne, und noch bin ich
Dir fern, noch seh ich nicht das weitgeöffnete, schöne Auge, den
schwimmenden Blick, das liebe, liebe Lächeln. Eile, o, eile zu Li,
schließe sie wieder in Deine Arme, laß ihre Küsse Dir sagen, welch
ein glückliches Geschöpf Du Dir geschaffen. —
Ich erwarte Dich Sonntag abend.



Dies ist der letzte Brief aus der Brautzeit. Am 12. Juni 1791 kam
Humboldt in Erfurt an, wo am 29. die Trauung stattfand.

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