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[ Band 1 Brief 148: Humboldt an Caroline Naumburg, 1. Mai 1791, 6 Uhr ]
im andern, was keinen irgend einem Sinne erkennbaren Ausdruck hatte, wir sahen’s, wie ich Deinen holden Blick sehe, Deine Stimme höre, und befremdet fragtest Du mich oft, wo es stände, was ich da läse, und unbeantwortet ließest auch Du oft die gleiche Frage von mir. Schon dies Eindringen des einen in den andern, dies Ausmessen, dies Erschöpfen aller seiner Ideen und Empfindungen möchte ich sagen, muß eine neue Schöpfung eröffnen. Nur der Mensch ist es eigentlich, auf den sich alles Wissens schrankenloser Kreis zurückzieht. Er ist des Menschen ewiges, nur bald mittel- bares, bald unmittelbares Studium. Aber meist vermögen wir ihn nur zu erkennen an kalten, toten, unfruchtbaren Zeichen, meist wird uns nur die Summe seiner Wirkungen, nicht sein inneres, lebendiges, ewig reges Wirken offenbar. Daher kommt es, daß wir so viel Wert, ich möchte sagen, so einzigen auf die Resultate der Dinge legen, daß wir die Kraft vernachlässigen, wie sie an sich ist und wirkt. Und das ist nicht Fehler einer schiefen Richtung des Geistes, einer falschen Bildung, es geschieht, weil, um der Seele unmittel- bares Dasein zu sehen, die Seele die Seele ergreifen, erwärmen, mit sich vereinen muß. Wie werden wir uns nun sehen, wie wird uns aus uns der Mensch, aus dem Menschen die ganze Schöpfung entgegenstrahlen. O! Lina, bei der Glut, in die mich dieser Blick in die Zukunft auch in diesem Augenblick, an dem Tage versetzt, wo das Gefühl einer neuen Trennung von Dir mein Herz so weh zerreißt — bei dieser Glut beschwöre ich Dich, erhalte Dich der nahen, o! sehr nahen Zukunft. Laß mich wiederkehren in Deine Arme, laß mich das einzige, einsame Leben mit Dir beginnen, laß uns werden und genießen, was Sterbliche zu werden und zu ge- nießen in jeder andern Lage, mit jeder andern Empfindung fast vergebens streben. Ich bin sehr glücklich bis hierher gereist, und das Kind kann also ganz ruhig sein. Dies war der schlimmste Teil meines Weges, 446