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[   Band 1 Brief 148:    Humboldt an Caroline    Naumburg, 1. Mai 1791, 6 Uhr   ]


gedacht, wie Du in meinem Stübchen säßest und alles küßtest.
Bist ja so ewig gütig, küssest ja alles so gern, was Bill berührte.
Meine ganze Seele ist in ewige Erinnerungen versunken, im Zurück-
rufen der Wonne, die nun nicht mehr mein ist. Wie so unendlich
viel gabst Du mir! Nein, Li, es vermag niemand zu beseligen,
wie Du beseligst, wo ist wieder diese Größe, diese Schönheit des
Wesens, wo diese unendliche Liebe, wo dies ewige, unaufhörlich
lebendige Streben, immer inniger und inniger der Liebe anzugehören.
O! Du bist ein einziges, unerreichbares Wesen, aber nie hättest Du
auch geliebt werden können, wie ich Dich liebe, nie mit größerer Hin-
gebung des ganzen Seins, nie mit heiligerer, anbetenderer Reinheit
des Sinnes. Wenn ich nun in die Zukunft blicke, wenn ich denke,
ihre milde, erhebende Schönheit wird mich von allen Seiten um-
wallen, alle meine Sinne werden beschäftigt sein, sie mein und
ihrer würdig aufzunehmen, das Heiligtum ihrer Ideen, ihrer Ge-
fühle wird sich mir erschließen, und das ewige Ineinanderfließen
meines Wesens und des ihrigen wird mir eine Kraft, zu verstehen,
geben, wie sonst kein Mensch den andern versteht — wenn ich das
alles denke, o, dann hängt meine Seele sehnsuchtsvoll an der Zu-
kunft, und anbetend sinke ich nieder vor Dir. Neue, noch von
keinem Menschen vielleicht gepflückte Blüten muß unsre Liebe uns
darreichen, sie muß Kräfte wecken, deren Möglichkeit wir jetzt auch
in den höchsten Momenten nur zweifelnd ahnden. Wenn diese
Liebe so selten, ich sage nicht gern einzig — ach! Du sprichst ja
auch nie über andre Empfindungen ab — ist, so ist vielleicht gleich
selten diese Lage. Mit dieser Liebe, in dieser Freiheit muß sich
die Seele auch ohne Fesseln emporheben, muß sie die ganze un-
geschwächte Stärke erhalten, die tausend hemmende Fesseln ihr
raubten. Ein andres, neues Leben muß da hervorgehn, neue Organe
müssen sich erschließen, neue Kräfte zu schöpfen und mitzuteilen
erwachen. Wie war es uns nicht schon jetzt oft. Wir sahen einer

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