< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 1 Brief 146:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], gegen 8 Uhr, Sonntag, 1. Mai 1791   ]


wehsten, zerstörendsten Momenten, o, das fühlst Du, wie Du meine
Liebe fühlst und meines Wesens allmächtigen Zug, Dir immer
näher zu sein und mein ganzes Sein in Dich zu ergießen.
Lebe wohl, meine Seele, Du mein bessres Selbst. Umarme
Carln herzlich von mir und fühle ewig um Dich das Walten meiner
innersten, heiligsten Gefühle.


147. Humboldt an Caroline   Buttelstädt, 1. Mai 1791, 11 Uhr

O Li, ich bin nicht mehr bei Dir, ich bin allein, bin meinem
schönsten, meinem einzigen Leben entrissen! Ach! zürne
mir nicht, daß ich ging. Sei auch nicht bang um mich,
bitte Dich Holdes, Trautes, ängstige Dich nicht, mein liebes, bestes
Wesen. Wohl ist mein Herz zerrissen, wohl brütet mein Sinn
dumpf über dem Gefühl, daß ich Dich nicht mehr sehe, Deine be-
lebende Gegenwart mich nicht umschwebt, und doch fühl ich mich
so gehoben, so stark, sie neu zu tragen, alle, alle Qual der ent-
behrenden Trennung. Und froher und heiterer fühl ich mich in
dieser Kraft, als da ich Dich in Burgörner verließ. Wie da, er-
füllt mich auch jetzt die Seligkeit der Erinnerung, wie da, trägt sie
mich über die Gegenwart und die Zukunft hinweg; aber es
ist nicht diese Heftigkeit in mir, nicht dies Entsagen dem künftigen
Genusse, nicht diese Anspruchlosigkeit an die Zukunft. Ach! ich
dachte nimmer, daß wir die Trennung durchlebten. Wenn ich
Dir Mut einsprach, unterlag mein eignes Herz; wenn ich Dich
bat, den unendlichen Schmerz auszudulden, vermocht ich kaum selbst
ihn zu tragen. Mit jedem Posttag erwartete ich die schreckliche
Nachricht, und auf jede war ich gefaßt. Ich nannte sie schrecklich
—— ach! Lina, und mit Tränen der Freude hätt ich sie empfangen

                                                                       443
E