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[ Band 1 Brief 144: Caroline an Humboldt [Erfurt], Sonnabend abend, 23. März 1791 ]
Sonntag morgen Mein Bill, wenn Du auch nicht den gewissen Tag Deiner Ankunft hast bestimmen können, so sei unbesorgt darum. Von künftigem Sonntag an geht Li keinen Schritt mehr aus dem Hause und erwartet Dich jede Stunde, jeden Moment, bis Du endlich kommst. Ach, auch dies Harren wird so süß sein. Du kannst mir nie unerwartet kommen, denn ich werde ja das nur denken, werde auch nicht erschrecken — sei ja ohne Sorge und steige nur gleich vor unserm Hause ab, um welche Stunde Du auch an- kommst. Nur richte Dich ein, daß Du nicht zu spät in die Stadt kommst. Das Leipziger Tor, durch das Du vermutlich kommst, weil es der nächste Weg über Leipzig und Naumburg ist, wird um zwölf Uhr geschlossen, und Du müßtest ohne Gnade und Barm- herzigkeit vor der Stadt bis zum Morgen warten. Überhaupt reise mir nicht die Nacht. Es ist so dunkel. Wenn wir erst zusammen sind, wollen wir des Nachts reisen, weil es Dir Spaß macht, aber nur nicht allein. Ach, nun lebe wohl, mein einziges Leben. Ich kann nicht denken, wie es sein wird, Dich wiederzusehen, Dich — ach Gott, mein Wilhelm, Dich wiedersehen. Oft wende ich mich in meiner Stube herum und sehe alles an und sage zu allem, als ob es mich verstünde: »In so und so viel Tagen wird Bill da sein, und auf den Stellen, wo ich unzähligemal weinte, werd ich ihn umarmen!« Lebe wohl. Li lebt nur in dem Gedanken an Dich. 145. Caroline an Humboldt [Erfurt], Sonnabend abend, 2. April 1791 Mein ganzes Wesen ist in dem wunderbarsten Aufruhr. So gewiß ich weiß, daß Du heute nicht kommen kannst, dennoch stürz ich ans Fenster, wenn ich von fern einen Wagen die Straße heraufrasseln höre, und das Blut strömt fiebrisch durch 439