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[ Band 1 Brief 139: Humboldt an Caroline [Berlin], Dienstag, 15. März 1791 ]
der Geist sich erhebt und für den Geist sorgt, da ist das Streben näher und zweckmäßiger, aber auch da noch oft und noch meist fremd dem wahren Ziel. So vieles, was in des Menschen Seele eingeht, bleibt ihm ewig so fremd, wird nicht sein; er besitzt, statt zu werden, und der Unterschied besteht nur darin, daß es moralische, intellektuelle Güter sind, die er besitzt. In ihrer wahren Gestalt erblickt die Gottheit nur der, welcher unmittelbar und mit Hingebung alles andern auf sich wirkt und auf andre. So zu wirken aber vermag man nur auf ein Geschöpf, so empfangen nur von einem. Vieles kann man nehmen von vielen, aber werden und wachsen kann man nur durch Übergehen in einen. Wo man den fände, sich zu verbinden mit ihm und ihm zu folgen durch alle Wechsel des Schicksals, das seh ich nun als aller Bestimmungen höchste. Und nun wolltest Du ja die eine sein, Du, nach der mein Herz sich sehnte, in die mein Wesen überging, als es das Deine nur erst ahndete. Ich sah Deine Größe und bebte, ich sah Deine Güte, Dein Erbarmen, und ich sank anbetend vor Dir hin und sagte, ich wolle Dein sein. So schlossen wir unsern Bund. Frei- heit ist sein erstes Gesetz. Ach! und nicht Gesetz, wie kennten wir das Wort; aber es ist die milde Luft, in der allein die Blüten unsrer Freude gedeihen. Emporzusteigen in ungebundener Freiheit, uns zu sehen in allen Gestalten, zu werden, wozu unser Wesen uns führt, ist unser einziges Streben, die Erreichung unsrer einzigen Glückseligkeit. Darum hängen wir an keinem einzelnen Zustand, keiner einzelnen Stimmung unsrer Seele, wenn wir erst beisammen sind. Jede ist uns willkommen, in jeder fühlen wir uns und uns vereint, und weinen und freuen uns miteinander. Denn Du bleibst ja ewig meine Li und ich ewig Dein Bill. Sei ihr darum nicht böse, dieser Wehmut, die Dir selbst nicht klar ist, be- gegne ihr wie einer sanften, lieben Freundin und sag ihr, Bill 429