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[ Band 1 Brief 137: Caroline an Humboldt [Erfurt], Freitag abend, 4. März 1791 ]
sam ein Schleier zerreißt, aber wie geblendet von der Klarheit, die mir entgegenströmt, sink ich zurück, und Dämmerung umfließt den tränennassen Blick. Laß mich so, laß mich weinen, bis Dein An- blick sie zerstreut. Ach, Du wirst ihn von meiner Seele nehmen, den Schleier, der sie umhüllt, bis dahin laß mich so leben und zürne nicht. Unsrer Liebe unendliches Glück füllt dennoch einzig mein Herz, aber ich werde Zeit brauchen, es ganz zu fassen, es recht zu empfinden. Es ist menschlich und wahr, dauernde, innige Gefühle gehen den stufenweisen Gang, und nach der Bangigkeit, die so oft in diesem armen Herzen — in Deinem Herzen lastete, nach dem unendlichen Weh der Trennung, das es zerriß, muß es sich erst lösen in Ruhe und selige Gewißheit, nicht mehr von Dir getrennt zu werden, um Dich voll zu empfinden, um alle Blüten Deines reichen Wesens zu empfangen, Dir alle zu reichen, die es vermag. Ach, so einzig ruhe ich in dem Gefühl Deiner Huld, Deiner unaussprechlichen Milde, Deiner Güte! Wie schrieb ich auch die Worte, in Deinem Herzen. Ja, Wilhelm, inniger gehörte noch kein Wesen dem andern, eigner konnte er sich’s nicht nennen, als Du das meine nennen darfst. Ich möchte Dir’s immer wiederholen, möchte es immer glühender in Deine Seele legen, und wie ich mich selbst nur wiederfinde in diesem Gefühl unsres verschmolzenen Daseins. — Ach, wie glücklich hat mich Dein heutiger Brief gemacht! Wenn etwas in mir begann, so sei es die Vollendung Deines Glücks, mein Leben hat seinen letzten, höchsten Zweck erreicht, wenn es Dein ist. Nur Dir gehör es, nur Dir sei es geweiht, und nie müsse ein menschliches Herz ein tieferes Ge- fühl erreichter Bestimmung, vollendeteren Sehnens in sich getragen haben. Sonnabend abend Ich war wieder draußen. Man fühlt ein sonderbares Streben in der Natur, das ich mit meinen innern Empfindungen vergleichen 423