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[   Band 1 Brief 129:    Humboldt an Caroline    [Berlin], Sonntag abend, 13. Februar 1791   ]


Ahndungen schwebten mir ewig vor. Ich kann nicht emporstreben,
kann mir selbst nicht genügen, wenn ich nicht in höchster Freiheit
leben darf. Ich fühlte, wie glücklich ich sein würde mit einem
Wesen, das ich liebte, dessen Schönheit mir in ihrem Anschauen so
reiche, selige Wonne gewährte, aber immer war es mir auch, als
wäre dann doch zugleich auf ewig dahin, ohne was die Entwicklung
keines Wesens gedeiht, die höchste Freiheit des Geistes und der
Empfindung. Denn — verzeih meinem Mißtrauen, teures, einziges
Weib — ein Wesen zu finden, mit dem ich in dieser Freiheit
existieren könnte, das seine Seligkeit darin fände, sie zu geben und
zu empfangen, das hofft ich nie. Ich kannte ja Dich noch nicht,
wußte nicht, wie Du, wie ich nur aus dieser Freiheit Deine höchsten
Freuden schöpfest. Wenn ich jetzt denke, ich hätte Dich nie ge-
kannt und hätte eine andre Verbindung geschlossen, es wäre ein
Aufopfern meines Seins gewesen, ach! und jetzt, mit Dir empfang
ich mein Wesen erst schöner und heiliger von Dir zurück. In Dir
war es wie in mir. Laß es mich aussprechen, Li, es macht mich
so unendlich glücklich, wie wenig ich Dich auch verdiene, Du wärest
nie mit einem andern glücklich gewesen. Jeden hättest Du beglückt,
aber Du hättest Dein schönstes Dasein seinem Glück hingeben
müssen, und Du würdest es getan haben, Du großes, schönes, nie
übertroffenes Wesen. Wir werden nichts hingeben, nichts aufopfern,
in der höchsten Schönheit werden wir nebeneinander aufblühen, und
nie wird nur ein Moment unser wonnevolles Dasein trüben. Die
höchste Liebe ist immer auch mit der höchsten Freiheit gegattet.
Aber wie wenige haben Kraft, diese höchste Liebe zu fassen, und
in diesen wenigen, wie gleicht sie dem kurzen Lenz einer schönen,
aber hinwelkenden Blüte. In uns wird sie ewig sein und unver-
gänglich. Dein ganzes Wesen geht aus Liebe hervor, und mich
hebst Du zu der Höhe empor, zu der ich sonst nie gestiegen wäre. Ich
kann nicht danken, heiliges Wesen. Stumm anbetend kann ich nur

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