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[   Band 1 Brief 112:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Donnerstag abend 6 Uhr, 30. Dezember 1790   ]


künftigen Sonntag vielleicht werden die paar letzten Tage ruhiger,
bloß unter dem Goldschatz und unter uns. . . .


113. Humboldt an Caroline  [Berlin], Sonnabend, 1. Januar 1791

Mit einer sonderbar frohen und wehen Stimmung beginne
ich das Jahr. Daß nun zwölf lange Monate verflossen
sind, seitdem zuerst auch ein äußeres Band uns um-
schlang, macht mich so glücklich, aber der Schleier, der die Zukunft
deckt, erfüllt mich mit Bangigkeit, und nimmer hat mich die Er-
innerung mit so glühender Sehnsucht erfüllt als jetzt, da die Tage
wiederkehren, die wir in Weimar miteinander genossen. Da fühlt
ich zuerst, daß Du mich liebtest, und mit welcher heiligen, nie ver-
löschenden Glut. Nie wird wieder etwas an diese Tage reichen.
Wohl waren die Burgörnerschen glücklicher und freudegebender,
aber mit einem so frohen Staunen, mit einer so überraschenden
Aussicht auf die Zukunft ergriffen sie mich nicht. Mein Herz ruhte
schon so sanft und gewiß in dem Schoß Deiner tragenden Liebe.
. . . Mein ganzes Wesen ist ja allein und ewig Dein, mein einziges
Streben, das Ringen aller meiner Kräfte ist, tiefer in Dich mich
zu versenken, inniger in mich Dich aufzunehmen und Dich auf-
blühn zu sehen an meiner Seite, in der höchsten, ungebundensten
Freiheit, in der jugendlichsten Schöne, ist das Ideal meines Glücks.
Ja, frei und ungebunden soll jede Idee, jedes Gefühl in Dir sein,
die Empfindung meiner Liebe soll jede Schranke hinwegräumen, die
sonst den Menschen das Dasein einengen. O! und Du, die Du
das wurdest, was Du jetzt bist, in dieser beklommenen, mit tausend
bangen Gefühlen erfüllenden Lage, was mußt Du sein, wenn Du
immer umweht vom Odem der Liebe allein Dir lebst und dem

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