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[ Band 1 Brief 108: Humboldt an Caroline [Berlin], Donnerstag, 16. Dezember 1790 ]
aussprechen, wie es war in mir, wie sonderbar es auch sei. Ich fühlte Dich so groß, so erhaben über mich, und überdies dacht ich Dein Herz, Deine Liebe entfremdet. Ich war mir selbst nicht klar, ob Du liebtest, aber ich glaubte zu fühlen, daß nicht an mich Dich Liebe bände. Nur zu leben mit Dir, jedes feine, schöne Gefühl zu hegen und pflegen, keine Blüte verwelken zu lassen, von allen den wunderlich reizenden, namenlos mannigfaltigen, die ich in Dir schon aufgeblüht und noch aufblühend erblickte, war mir so unendlich viel, machte schon in der Idee mich so glücklich. Aber es war auch so schwer. Wenn Du bemerktest, daß ich für Dich eigentlich lebte, wenn Du sähest, daß ich Dich mehr liebte, als Du für mich empfandest, daß ich Dir mehr gäbe, als ich von Dir empfing, dann, das war mir klar, war auch Dein Glück gestört. So kam ich nach Erfurt, so sprach ich mit Dir. Das Glück meines Lebens, mein Dasein wagt ich an die schöne Hoffnung, Dich zu beglücken, zitternd nicht ob dem, was ich wagte, nein, aber ob ich’s erringe, das göttliche Ziel, und er- rang ich’s nicht, dann, das wußt ich, warf ich Dich tiefer zurück. Deine Antwort überraschte mich wunderbar. Dieser Ton, diese Gewißheit in mir, daß es das Wort sei Deiner heiligsten, wahrsten Gefühle, machte auf einmal mich so kühn, aber der Mut fehlte mir noch, ganz die Hoffnung zu fassen, und ich sank in Wehmut zurück. Freundlich hat es das Schicksal gelöst. Wir waren ein- ander, was wir nicht sahen, wir werden ewig finden einer im andern alles, wonach unser Wesen sich sehnt. Ach! Li! warum bin ich heute, nun in diesem Moment so fern von Dir. Warum kann ich nicht Deine Knie umfassen und weinend ihn ausstammeln, den Dank, der mich durchglüht für das, was das eine, eine Wort mir gab! Ich fühle kein Glück, kein Leben, kein Dasein mehr als das, was durch dies Wort ich empfing! Lina, teures, heiliges Wesen, Du mein geliebtes, süßes Mädchen, fühl es ganz und tief, 329