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[ Band 1 Brief 81: Humboldt an Caroline [Berlin], 10. Oktober 1790, nachts nach 12 Uhr ]
auffassen, wie ich bin, allein bei Deinen Briefen. Unter Menschen ändert sich alles, und ich fand schon oft, daß ich da einen widrigen Ausdruck bekomme. Mama hat ein altes Pastellgemälde von mir, so von sechzehn Jahr. Es sieht sehr einfältig aus, der Mensch hat aber doch recht viel von mir aufgefaßt. Es läßt sich das nicht so beschreiben, aber Du wirst es finden, wenn Du’s einmal siehst. Du — sehen? Ach, wann kommt sie, wann ist sie, die schöne Zeit? Ich lebe und webe in ihr, und mein Herz ruht so selig im milden Schein des keimenden Glücks. Nie, meine Lina, war ich so mit der Richtung zufrieden, die alles in mir nimmt, als jetzt. Ich strebe so nach nichts, nichts Äußern Dich glücklich zu sehen — ach! und Du, Du bist ja nichts Äußeres, bist ja nun der schöner gebildete Teil meines Ichs — zu machen, darin allein leben und weben meine Wünsche, meine Hoffnungen, meine Freuden der Gegenwart, meine süßesten Erinnerungen der Vergangenheit. Und was tu ich, um Dir Glück zu geben? Ich strebe, mich besser, größer zu machen, mich voller, reiner zu empfinden, und dann mein Wesen, vor allem — ach, und es ist ja nur das mein Wesen — meine Liebe Dir näher zu bringen, daß der Schmerz der Trennung sich in die Freude der Gegenwart löse und die Gegenwart Dir das Werk Deiner Liebe in seiner höchsten Fülle und Schönheit zeige. Sich selbst zu jeder Stufe des Genusses und der Kraft zu erheben, dacht ich immer, wäre des Lebens höchstes Ziel. Nur für sein inneres Sein zu arbeiten, darin, fühlt ich, könnte allein für mich Genuß und Ruhe und Seligkeit liegen. Mein glückliches und mein nützliches Leben ist dahin, wenn ich lang und oft mich von mir entfernen muß, wenn ich viel in Lagen sein muß, die nicht stark und anhaltend auf mich zurückwirken. Ich fühlte es gleich, daß nur das eigene Gefühl meiner selbst mich beglücken könnte. Es gab wohl Zeiten, wo mir sehr wichtig war, wie ich auf andere wirkte, aber es waren nicht meine guten und nicht meine glücklichen Zeiten, 242