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[ Band 1 Brief 78: Humboldt an Caroline [Berlin], Donnerstag abends, 30. September 1790 ]
doch mit Gewißheit, wie Du in jeder Lage, bei jeder Empfindung, jeder Handlung sein müßtest, und nur weil ich überzeugt war, wie unendlich schön und groß Du in jedem Moment erscheinen müßtest, konnt ich zu diesem Gefühle von Liebe gehoben werden. O! unsre Wesen, holde, süße Li, sehen sich wie sie sind, ungehemmt und un- eingeschränkt von all dem Fremden, was jetzt auf sie wirkt, und nur dies rastlose Streben, uns ewig so zu schauen, und diese ewig glühende Sehnsucht, uns in dieser ursprünglichen Gestalt miteinander zu vereinen, ist es, was unser Glück über das Glück aller Men- schen emporhebt, deren Art zu sein ich zu ahnden vermag. Ewig schweben mir diese Ideen vor, ich möchte Muße haben, mich ihnen zu überlassen, damit ich tiefer in sie dränge und sie mir deutlicher vorständen, allein meine Seele ist so gestört, mein Geist so herunter- gestimmt. Oft ist’s mir, als könnt ich gar nicht schreiben. Du mußt es auch an meinen Briefen fühlen. Da ring ich mit meinen Empfindungen, die ich nicht loszureißen vermag, mit der Sprache, die sich der Idee nicht anschmiegen will. Laß mich erst bei Dir sein, mit Dir leben, dann wird’s besser gehn. Trage mich bis dahin. Ach! wie ist Dein letzter Brief so schön und so lieb. Faß es, Li, wie Du mich glücklich machst. Jeder Moment ist mir so süß, jeder anders als der entflohene, und in jedem gibst Du meiner Seele die Wonne, die sie bezaubert — oft eine so schmerzliche, seelenzerreißende Wonne. O! Li, nie kannt ich, nie ahndete ich diese Gefühle, ich liebte Dich lang, aber was mich jetzt beseelt, ist ein neues, schöneres Leben. — Mit Deiner Gesundheit geht’s besser, Li. Ich hofft es nicht, aber es ist, als gäbe unsre Liebe uns ein andres Dasein. . . . Mit meiner Lage, unsrem Plane geht’s sehr gut. Die Menschen kommen mir zuvor und zeichnen mich auf jede Art aus. Ich sehe nichts, was uns hindern könnte. Wenigstens bringt doch jetzt, da meine Probearbeiten zum Teil schon angefangen haben, 233