< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 1 Brief 77:    Caroline an Humboldt     Erfurt, Montag abend 10 Uhr, 27. September 1790   ]


wie seine Li.« Laß mich aufhören, laß mich still an Dich denken
und weinen — mir ist sehr weh. —

                                                Dienstag morgen 7 Uhr
Die Nächte sind mir so heilig, so lieb. Ungestört kann ich da
an Dich denken, laut weinen, mich in Dir versenken und Deinen
teuren Namen aussprechen, wenn das Übermaß der Wonne und
Qual zu heftig auf das arme Herz losdrängt. Mit dem Tage —
ach, entflieht auch das Glück, mich in meinen Schmerz ganz zu ver-
lieren — die Menschen dürfen ihn nicht sehen — ich kann Dir
kaum sogar schreiben, wenn Madame in der Stube ist, es stört
mich, raubt mir den reinen Ausdruck meiner Liebe, es ist wohl eine
Torheit, aber es ist nun einmal so. Ach, schon regt sich der ganze
Plunder des bewegten Marktes, und Madame steht auf. Adieu.

                                                Abends
Gott, wie habe ich mich nach dem Ende des Tages gesehnt,
zu Dir zu kommen, mein Geliebter, mein Teurer. Um Mittag
empfing ich Deinen Brief. Ach, Bill, wie oft mußt ich ihn weg-
legen vor heißen Tränen. — Sei ruhig um mich, ich bitte Dich,
ich weiß nicht, ob ich’s tragen werde, das kann ich ja nicht wissen
— wollen? ach, Du fühlst, daß wir nicht wollen können. Sei ruhig
— wenn wir sind, werden wir beieinander sein, und wenn wir
nicht sind — Vernichtung — es ist ein leeres Schreckenswort.


78. Humboldt an Caroline   [Berlin], Donnerstag abends,
                                     30. September 1790

Wie so ein schöner Gedanke ist’s, meine Li, daß alles Voll-
kommenerwerden nur ein Zurückkehren ist zu dem ursprüng-
lichen Dasein. Auch mir war’s oft so. Durch alle Hüllen
hindurch, die in dem eingeengten Leben die Urschöne der Seele ver-

                                                                       231