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[ Band 1 Brief 74: Humboldt an Caroline [Berlin], Mittwoch abend, 22. Sept. 1790 ]
will nun schlafen, es ist spät. Ruhe sanft, süße Li. Gern erschiene Bill Dir im Traum. Donnerstag abend Ich kam heut an einen Kasten, den ich, seitdem ich in Berlin bin, wenig brauchte. Ich fand da ein abgerissenes Kartenblatt, worauf Du mit einer Nadel my dearest gestochen hast. Ich schickt es Dir mit, daß Du deutlicher des Moments Dich erinnerst. Es war einen Abend in Erfurt, als ich zum erstenmal da war. Wir saßen beide auf dem Sofa, und es waren Blindschleichen *) da, ich denke P. R. der aber leider so blind nicht war als die andern. Ach! es war mir ein unvergeßlicher Abend. Es war ja die Zeit, da wir uns zuerst so recht innig nahkamen. Der Tag, an dem ich Erfurt verließ, war völlig neu in meinem Leben. So eine Empfindung, diese Unruhe, dies schmerzliche Zerrissensein hatte ich nie gefühlt. Ich ging den Morgen zu Papa, um Abschied zu nehmen; ich bat ihn, Dich rufen zu lassen. Du kamst, ich hielt die Hand gerade auf dem Rücken, Du gingest vorbei hinter mir und gabst mir ein Billet. Ich küßte Dir beim Weggehen die Hand. Wie ich die Treppe hinunterging, gingst Du sie hinauf, ich hätte so viel — o! so viel noch für einen Kuß gegeben. Ich wollte Dir nachkommen. Aber vor Papas Tür vorbei, ich war auch nie oben gewesen — zwar ich hätte ja wohl einen Vorwand gehabt, Dir noch etwas zu sagen, das fiel mir auch wohl ein, aber ob Du es wolltest? — Verzeih — aber Du konntest leichter noch herunter- kommen? warum kommt sie nicht? Ach! sie liebt mich nicht, schauerte es mir zu, und dann überraschte es mich, daß mir die Idee schreckend war. Ich hatte es doch nie gehofft, nie gewollt — ich glaubte, Carl besäße Dich ganz. Jetzt fühlt ich, daß ich’s doch ge- hofft haben mußte, und ich strafte mich selbst, fand, daß ich nicht gut sei, und freute mich — ach! mit so wehem Herzen, daß Du ——— *) Geistliche. 224