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[ Band 1 Brief 73: Humboldt an Caroline [Berlin], Montag, 20. September 1790 ]
des Geistes in den Sinn durch die Empfindung der Schönheit ist wahrer Charakter der Menschheit. Aber in so wenigen Menschen gibt es ein Band, dies zu verknüpfen. Sie sehen das Geistige bloß in toten, konventionellen Zeichen, im Wort und Ton, und ahnden in der Sinnenwelt nichts, wovon Form und Gestalt und Farbe nur Bild, nur Art ist, zu erscheinen. Wenn es anders sein soll, wenn das Glück genossen werden soll, was dem Dasein erst eigentlich Wert gibt, dann muß der Sinn empfänglich und reizbar, die Einbildungskraft tätig und die Kraft der Seele so groß sein, daß trotz jener Reizbarkeit und trotz des ewigen Schaffens der Phantasie die Stimmung doch immer im höchsten Verstande seelenvoll bleibt, immer höchste Klarheit der Ideen und Empfindungen fortdauert und nicht dem Reiz der be- wegten Nerven unterliegt, und daß die Phantasie immer harmonisch mit dem Geiste fortwirkt und sich nie in leeren Bildern verliert. In diesem Zustande ist der Mensch auf der höchsten Stufe des Daseins, auf dieser faßt und schafft sein Geist mit der schnellsten, mächtigsten Kraft. Da eigentlich ist er zu jeder Kraftäußerung fähig, da sieht er jede in ihrem wahren Lichte, in ihrem nahen oder entfernten Einfluß auf die eigentliche Erhöhung des Wesens. Dahin fühlt ich mich so oft in Deiner Nähe gehoben, das war das unsägliche Glück der wundergleichen Tage, da ich bei Dir war — war! ja wohl, war! Laß mich die Idee nicht denken, und doch denk ich sie ewig. Ich schreibe, ich rede in mir von Ruhe, und wo ist sie in mir, diese Ruhe, wo? Ich bin ja nicht mehr bei Dir, ich habe ja keine Stelle hier, kein Fleckchen, wo Du warst. — Nur einen ruhigen halben Tag, aber wo find ich jetzt den, und die Menschen müssen nicht sehen, wie mir ist, wer verdient es, zu sehn? Eher verging ich in Weh, eh ich den Menschen es zeigte, eh ich einen Augenblick anders wäre als immer. Ich verginge! und warum nicht? Du folgtest mir, Li, mein einziges Leben folgte mir, ich wäre mit ihr, oder ich wäre gar nicht. Ich fürchte nichts. 221