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[ Band 1 Brief 65: Caroline an Humboldt [Burgörner], Dienstag abend den 6. Juli 1790 ]
Dir’s sagen, nur einmal, wie ich Dich liebe — wie mein Herz sich vor Dir neigt — wie selig ich mich fühle, wenn mein Geist in der Anbetung des Deinen versinkt — ach, es ist, als wäre ein Vorhang vor mir weggezogen, als schaute ich mit geläutertem Blick in das Gewebe geistiger Kräfte — ein unermeßliches Feld, wo sie mir heller entgegenstrahlen, die vollendeten Gestalten, die hier mein Geist in seinen kühnsten Aufflügen kaum ahndete — wo ich sie wiederfinde, aufgewachsen zu himmlischen Blumen, alle zarten Re- gungen, alle namenlosen Gefühle der stillen, in sich gekehrten Seele — dann sag ich mir so oft und mit so tiefer Überzeugung: »Was wir als Schönheit hier empfunden, Wird einst als Wahrheit uns entgegengehn.« Vergib, ich bin unterbrochen, gestört — Papa kam mir zu sagen, was ich schon vermutete, mit nächster Post solltest Du seinen Brief empfangen, er könne ihn heut nicht enden. Er läßt Dich grüßen. Nachmittags Ich fliege wieder zu Dir — so werd ich oft, wenn ich mich den Menschen nicht werde haben entziehen können, an Deinen Busen zurückeilen, in Deinem Blick Deine Seele suchen — und finden. — Ja, immer werd ich sie finden, hüllenlos wird sie mir erscheinen — wie in einem Spiegel werd ich meine wahre Gestalt in ihr sehen. O Wilhelm, es ist tief empfundene Wahrheit, wenn ich Dir sage, daß nur Du mir eine helle Ansicht meines Selbst gibst, ach, und mein Leben, mein ganzes Dasein, einzig, einzig fühl ich’s in Dir. Ja, Du hast recht gesagt, wenn ich noch lebte und fühlte und hätte Dich nicht mehr — es bliebe mir nichts. Du hast diese Empfindung aus meiner tiefsten Seele genommen, aber nicht also muß es mit Dir sein. Eure Existenz ist anders, ein weib- liches Dasein wird erst zu etwas, wenn es die Freude, das Glück eines geliebten Mannes ist, aber die Eure öffnet Euch reichere 195