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[ Band 1 Brief 20: Humboldt an Caroline [Berlin, zwischen dem 15. und 29. Januar 1790] ]
erzählt mit Interesse, was sie von Dir durch andere weiß, und hat letzt lang und breit berechnet, wie alt Du wohl sein könntest. Und das Sonderbarste war: so bestimmte Mama das immer nach mir: »soviel jünger, soviel älter«. Sie wollte Dich entsetzlich jung machen, und endlich sagte sie mir: »Na, aufs höchste kann sie doch ein Jahr älter sein als Du«. Dein Stillschweigen in Erfurt hat Kunth aller- liebst ausgelegt. Er meinte, man hätte es Dir angesehen, wie gerne Du geredet, wie Du aber vor Madame nicht gedurft hättest! Ist das nicht göttlich? Ungeachtet alles dessen aber zweifle ich, daß sie schon Verdacht schöpfen. Eigentliche Schwierigkeiten macht Mama gewiß nicht und kann sie nicht. Aber lieb ist’s ihr gewiß nicht. Durch die Heirat, wird sie denken, wird der Sohn von der Mama getrennt, die Mama vernachlässigt usw. Das wird sie einwenden, dann vielleicht meine Jugend, Besorgnis wegen des Auskommens, dergleichen. Alles dies ist leicht zu heben, sobald man nur mit Ver- nunft, mit Delikatesse und mit dem Gefühl verfährt, was doch immer Liebe, wie schwach und mit anderen Empfindungen gemischt sie auch sein mag, gegen jeden einflößt und das durch dankbare Erinnerungen erhalten wird. Laß nur noch ein paar Monate verstreichen, und Papa und Mama korrespondieren. Auch über das Einleiten der Korrespondenz habe ich vortreffliche Pläne. . . . Sie [die Herz und Brendel] sind doch beide sehr gut, hängen außerordentlich an uns, würden ganz unglücklich sein, wenn wir sie nicht liebten. Aber freilich hat Brendel nicht genug sanfte Liebens- würdigkeit im Charakter, haben beide zu wenig inneren Gehalt der Empfindung und des Geistes und — vorzüglich Brendel — zu wenig Schönheitssinn, zu wenig Grazie im Innern und Äußeren. Gegen zehnmal »Das ist recht, das ist gut« hört man kaum ein- mal von ihnen »Das ist schön«. Ach! und wen nicht das Schöne als Schönes hinreißt, wer es nicht schön empfängt und schön dar- stellt —— der vermag nicht wahrhaft zu genießen und wahrhaft zu 75