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[ Band 1 Brief 16: Humboldt an Caroline Von Weimar, Januar 1790 ]
treibt mich so manche andere Idee, Empfindung um. Ich bin nicht fähig zu sein wie sonst; selbst C[aroline] muß das bemerken. Sonderbar ist’s. Alles in uns vereinzelt uns auf unsre Gefühle hin, alles außer uns reißt uns davon los. Hier war’s eine eigene Existenz. Schiller wurde in den ersten Stunden vertraut, das heißt er genierte sich nicht. Aber die Art, wie sie untereinander sind, drückte mich oft. Wenn ich C[aroline] ansah, über ihn hingelehnt, das Auge schwimmend in Tränen, den Ausdruck der höchsten Liebe in jedem Zuge, — ach ich kann’s Dir nicht schildern, wie mir’s dann ward. Denn es war kein freies Äußern, kein Hingeben in die Empfindung, alles gehalten, gespannt. So viel Fähigkeit, zu geben und zu genießen, und die gehemmt. Wenn es nun so fortgeht, denk ich immer, tötet endlich das ewige Hemmen die Kraft, es stirbt hin, was in sich so beseligt, so viel Schönes erzeugt hätte, und man sitzt endlich wie der Adler mit gelähmtem Flügel am Strande des Meeres und blickt zur Sonne und vermag kaum mehr den Gedanken zu fassen: ich war einst da. Mir gibt’s keinen andern reinen Gewinn, als was in schönen Seelen schön empfunden wird, und der höchste Genuß — wer ihn auch genieße — ist mir höchstes Gut, dem ich alles opfern könnte. Und in unserm Leben werden gerade immer die schönsten Gefühle vernichtet, die höchsten Genüsse gestört. Da nennen sie Ruhe, was Leere ist, und arbeiten darauf hin und vegetieren. Immer möchte das sein, wenn darum bloß weniger genossen würde. Aber so ist der Genuß der Vater der Kraft, und nie wird etwas Schönes genossen, ohne daß etwas noch Schöneres daraus hervorgeht. Und doch ist’s nicht unmöglich, das Individuelle unsrer Empfindung auch unter den Einschränkungen zu erhalten, die die Allgemeinheit unsrer Lagen setzt. Wenigstens kann es jeder für sich bis auf einen gewissen Grad. Und weil man das kann, und weil Du, meine 60