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[   Band 6 Brief 97:    Humboldt an Caroline    London, 26. Junius 1818   ]


Man verliert sich, wenn man sich auch nur in den Gedanken aller
der vergangenen Jahrhunderte, der aufeinandergefolgten Geschlechter,
bloß in ihre Zahl und Masse vertieft. Alle haben empfunden,
getan und gelitten, keines ist ganz spurlos vorübergegangen, wenn
man sie auch nicht mehr an den Spuren erkennt, und von Zeit zu
Zeit kommen nun die Denkmale hervor, die auf einmal einen
Schimmer rätselhaften Lichts in das Dunkel werfen.
Dieser Fund ist besonders wunderbar. Denn dafür, daß die
Peperinbildung so viele Zeit voraussehen läßt, ist doch das Gefun-
dene dem Bekannten und viel Jüngeren zu ähnlich. Vielleicht
gibt es Naturrevolutionen, in welchen jene Bildung schneller und
auf kürzerem Wege vor sich geht. Daß die Hauptvase die Form
einer Wohnung hat, ist allerdings sehr rührend, wie jede Übertra-
gung der Begriffe der Wohnung auf das Schattenreich. Wohl
ist es das Haus, in dem man am längsten weilt. Man kann
eigentlich nur zwei Empfindungen beim Tode haben, entweder sich
für die Ewigkeit aufzubewahren und einzumauern, wie die Ägypter
vielleicht es mit den Pyramiden meinten, oder so schnell als möglich
den irdischen Stoff wieder den Elementen zu vermählen. Das
Verbrennen, wenn es nicht in der Ausübung so schwierig und
daher wenig lieblich gewesen wäre, war die schönste Idee dafür.
Es vereinigte eigentlich beides. Der Körper ging in das All über,
und das Häufchen Asche kehrte in die Nähe der Lebendigen zurück,
und ganze Geschlechter konnten in engem Raum beisammen wohnen.
Unser Begraben in der Erde ist auch sehr gut, die dünnen Bretter,
die den Körper von der Erde scheiden, halten sein Vermischen
mit ihr nicht auf, es geht still und verborgen vor, der ganze, immer
wiederkehrende Wechsel der Natur geht alljährlich darüber, und es
ist eine freundlicher wehmütige Idee, auf solchem Grabhügel zu
sitzen, als wenn er bloß eine Urne birgt. Dies Begraben ist
weniger flüchtig im Augenblick und weniger dauernd für die Länge,

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