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[   Band 5 Brief 36:    Humboldt an Caroline    Paris, 30. September 1815   ]


Der »Rheinische Merkur« hat vor kurzem gefragt, wie die Minister,
die ihn unterschrieben, es machen würden, um nach Deutschland
zurückzukommen? Er wird also mich konsequent finden, daß ich
hier bleibe. Er würde mit mir noch mehr zufrieden sein, wenn er
wüßte, wie ich eigentlich die Basen dieses Friedens mißbillige.
Indes bleibe ich immer dabei, daß er noch besser wird, als ich
dachte, wie ich Berlin verließ.
Richelieu *), der jetzt allein mit uns unterhandelt, ist fast noch
peinlicher, als Talleyrand mit seinen Genossen war. Diese nahmen
einen hohen verneinenden Ton an, dem man leicht begegnen konnte.
Dagegen ist Richelieu durchaus bittend, wendet sich nur immer an
die Großmut und sagt alle Augenblicke »je vous supplie à genoux«
und solche Phrasen mehr.
Die Bildergalerie hat schon viel mehr leere Stellen als volle,
und doch hat der Papst noch nichts genommen. Dies zieht Met-
ternich (unter uns) wieder sehr unangenehm hin. Die eigenen öster-
reichischen Sachen sind ziemlich schon alle fort, namentlich die Me-
diceische Venus für Toskana. Aber die venetianischen Pferde
kosten viele Mühe. Sie stehen jetzt auf einem infamen Triumph-
bogen vor den Tuilerien. Dieser Triumphbogen hatte auch für
uns anstößige Basreliefs, die man wenigstens jetzt mit Platten
zugedeckt hat. Die Pferde sind so gestellt, daß es sehr schwer ist,
sie schnell wegzunehmen. Bei Tage will man nicht daran arbeiten,
weil der Auflauf zu stark ist. Der Platz ist seit Wochen nie ohne
Menschen, die den Bogen angaffen. Man hat also zwei Nächte
gearbeitet. Die erste hatte man vergessen, die Schloßwache zu be-
nachrichtigen, daß der König die Sache nicht hindern will. Ob
also gleich Nationalgarden die Arbeiten zu beschützen da waren,
trieb die Schloßwache alles auseinander. In der vergangenen Nacht

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*) Armand Emmanuel Duplessis Herzog v. Richelieu, geb. 1796, † 1822,
zuerst in russischen Diensten, 1815 unter Ludwig XVIII. Minister.

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