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[   Band 4 Brief 78:    Humboldt an Caroline    [Leipzig], 22. Oktober 1813   ]


keit an, wo wir einfacher und idealischer, weniger berührt von der
Wirklichkeit lebten. Es kommt mir noch jetzt manchmal sonderbar
vor, wie die wichtigen Begebenheiten, die auch damals vorgingen,
mich wenigstens so äußerst wenig ergriffen. Ich kann es nicht
gerade billigen, aber es war doch, weil mich das Leben mit Dir
und in Dingen, die für uns beide individuell Reiz hatten, ganz
zu sich hinzog. Ich habe die ganze Zeit, vorzüglich in Teplitz,
schon fleißig wieder mich mit dem Agamemnon beschäftigt, und
werde fortfahren, damit er endlich zustande kommt. Es bleibt
dann wenigstens eine Arbeit von mir, die in ihrer Art gelten kann.
Solche Arbeit verträgt sich auch sehr gut mit der Teilnahme an
den Begebenheiten. Der Stoff ist ganz mit ihnen verwandt,
immer das große Weltschicksal von einzelnen Menschen veranlaßt
und auf sie zurückwirkend, und die Form, die der Schönheit und
des Ebenmaßes, der durch sich selbst bestimmten Gesetzmäßigkeit,
ist wie eine ernste Musik, die alles begleitet und einen immer um-
geben kann. Wären wir unglücklich gewesen, hätte ich es für un-
schicklich gehalten, durch eine jetzt gedruckte Arbeit zu zeigen, daß
ich mich mit etwas anderem auch nur nebenher beschäftige. Allein
da, was ich tun sollte, gelungen ist, und das, was Folge davon
war, noch mehr, fällt dies Bedenken weg. 
Lebe wohl, mein teures, süßes Kind.         Ewig Dein H.


79. Humboldt an Caroline                  Leipzig, 23. Oktober 1813

Für die Fürstin von Rudolstadt habe ich heute eine große
Sache durchgesetzt. Es ist jetzt die provisorische Ver-
waltung Sachsens eingerichtet worden, Repnin*) ist Ge-
neralgouverneur und steht unter Stein, der Minister der verbündeten

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*) Fürst Wolkowski-Repnin, russischer General, geb. 1778, † 1845.

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