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[   Band 4 Brief 77:    Humboldt an Caroline    Leipzig, 21. Oktober 1813   ]


Alles dies geht mitten in der Stadt vor. Als ich heute morgen
von Hermann in mein jetziges Quartier ging, sah ich vor der
Thomaskirche, wo ein Lazarett von Franzosen ist, einen so hohen
Haufen von Toten liegen, daß ich es von weitem bloß für Lumpen
und alte Kleidungsstücke hielt. Es sind aber auch mehr als
20000 verwundete Franzosen hier. Leider geht es aber auch
unseren eigenen Verwundeten nicht sehr gut. Noch heute hat der
Staatskanzler in einem Dorfe eine Menge der unsrigen unbesorgt
gefunden, deren Schreien man hat von weitem hören können, und
die nur nach einem Trunk Wasser verlangt haben. Es ist fast
unmöglich, besonders beim Mangel an Fuhren, für alle Rat zu
schaffen. Der Zustand vom Augenblick der Verwundung bis zu
dem, wo man in eine nur etwas ordentliche Pflege kommt, ist
unstreitig das Schlimmste von allem, was der Krieg mit sich
führt. . . . 

78. Humboldt an Caroline       [Leipzig], 22. Oktober 1813

Ich bin heute den größten Teil des Morgens mit Hermann
mit dem Agamemnon beschäftigt gewesen. Ich habe ihm
einige Szenen vorgelesen, und er war sehr zufrieden
damit und meinte, nie solche Genauigkeit in den Silbenmaßen ge-
funden zu haben. Er hat immer auch meine älteren Übersetzungen
geliebt und sagte mir noch heute, daß ich fast der einzige sei, der
vollkommen einfach übersetzte und nichts zu den Alten hinzutäte.
Ich hänge außerordentlich an dieser Arbeit und werde ihr noch
so viel Mühe ich kann widmen. Etwas ganz Ausgefülltes und
Ausgearbeitetes in dieser Art gemacht zu haben, hat einen großen
Reiz, und es ist eine ganze, reiche, innere Welt in dem einen
Stück. Zugleich sehe ich diese Übersetzung als das Ziel und die
Vollendung meiner ehemaligen Beschäftigungen in unserer Einsam-

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